Tag 3 – Urteilsverkündung vom 7. Dezember
Der Wallliser Grenzwächter L. ist dafür verantwortlich, dass eine aus Syrien geflüchtete Frau im Sommer 2014 ihr Kind verlor, weil er ihr auf dem Grenzwachtposten in Brig jegliche medizinische Hilfe verweigerte, und sie dann nach Italien ausschaffen liess.
Das Militärgericht in Bern verurteilte den damalien Einsatzleiter nach einem viel beachteten Prozess wegen fahrlässiger Körperverletzung, versuchtem Schwangerschaftsabbruch und mehrfachem Nichtbefolgen von Dienstvorschriften zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten und zu einer bedingten Geldstrafe von 9000 Franken.
Die Verteidigung hatte einen Freispruch gefordert, die Anklage eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung. Das Gericht hat sich gestern für den Mittelweg entschieden. In den zwei zentralen Fragen – wann ist das Kind gestorben und wann haben die Eröffnungswehen begonnen – ist das Gericht von der Anklage abgewichen. Sowohl die Anklage als auch die Verteidigung überlegen sich, das Urteil ans Militärappellationsgericht weiterzuziehen.
Harsch kritisiert wird das Urteil des Militärgerichts von der Gewerkschaft des Grenzwachtpersonals Garanto. Garanto ist bestürzt, dass Grenzwächter L. nicht freigesprochen wurde. Dieses Urteil stelle die Arbeit des gesamten Grenzwachtcorps in Frage. Der Druck sei hoch, die Anforderungen gross und der Personalmangel akut. Garanto ist überzeugt, dass Grenzwächter L. nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat.
RaBe sprach mit Heidi Rebsamen, Zentralsekretärin der Gewerkschaft des Grenzwacht-Personals Garanto
Tag 2 – Gerichtsverhandlung vom 23. November
Obwohl sie im 7. Monat schwanger war, starke Schmerzen und Blutungen hatte auf dem Grenzwachtposten in Brig, wurde der Syrerin jegliche Hilfe verweigert. Stattdessen wurde sie mit dem Zug nach Domodossola ausgeschafft, wo sie im Spital in Italien ihr totes Kind gebar.
Der damals ranghöchste Grenzwächter L. aus dem Wallis musste sich deshalb vor dem Militärgericht 4 in Bern verantworten. Nach zwei Verhandlungungstagen forderte die Anklage eine Verurteilung wegen eventualvorsätzlicher Tötung. Die Verteidigung forderte einen Freispruch. Das 5-köpfige Militärgericht – darunter auch eine Frau – entscheidet am 7. Dezember.
Zentrale Fragen im Prozess waren einerseits der Todeszeitpunkt des Kindes und andererseits wann die Eröffnungswehen der Frau begonnen haben. Dies, weil ein Kind im Strafrecht erst nach Beginn der Eröffnungswehen als Leben gilt, und wenn das Kind im Bauch schon tot war in Brig, dann hätte der Angeklagte es auch nicht vorsätzlich töten können.
Diese beiden Punkte konnte auch das rechtsmedizinische Gutachten nicht abschliessend klären. Trotzdem fordert die Anklage eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung, weil im Kern gehe es darum, wer wann was gewusst und gemacht habe, beziehungsweise unterlassen habe. Grenzwächter L. habe erst reagiert, als die Syrerin in den Zug getragen wurde. Erst dann habe er die italienischen Behörden informiert, dass eine schwangere Frau im Zug sei, der es nicht gut gehe. Laut Verteidigung zeigt das, dass eben doch gehandelt habe.
Grenzwächter L. selber argumentierte gestern bei der Verhandlung, er sei zwar ranghöchster Verantwortlicher gewesen damals, habe die Frau aber selber erst gesehen, als sie in den Zug getragen wurde. Er sei stark unter Druck gewesen, seinen Auftrag noch heute auszuführen – nämlich die insgesamt 36 Flüchtlinge auszuschaffen – weil keine Räumlichkeiten vorhanden waren für die Übernachtung. Zudem frage er sich, warum der Ehemann des Opfers sich nicht stärker für seine Frau eingesetzt habe. Er frage sich auch, warum der Ehemann nicht bei seiner Frau geblieben sei, sondern ständig anderswo in der Grenzwache. Diese Worte des Angeklagten vor Gericht, bewogen die Anklage dazu, die Handlung des Angeklagten als böswillig, gleichgültig und menschenverachtend zu bezeichnen.
Hätte Grenzwächter L. rechtzeitig gehandelt, hätte das Kind laut Rechtsgutachten – wenn es denn in Brig noch gelebt hätte – mit einer Wahrscheinlichkeit von 80% gerettet werden können. Somit habe Grenzwächter L. den Tod des Kindes bewusst fahrlässig in Kauf genommen, so die Anklage. Nun wären allerdings laut Gesetz alle Grenzwächter dazu verpflichtet, in Notfällen medizinische Hilfe zu leisten. 24 Grenzwächter waren damals vor Ort und keiner hat die Ambulanz verständigt. Jedoch haben sie zumindest ihren Vorgesetzten verständigt, welcher seinerseits beschlossen hat, nichts zu unternehmen. Wegen der Untätigkeit der anderen Grenzwächter prüft die Rechtsvertreterin der Opfer derzeit weitere Klagen. Zudem fordert sie Entschädigungszahlungen für die Opfer-Familie in der Höhe von insgesamt 870 000 Franken.
Der Fall vor dem Militärgericht hat offensichtlich nicht nur strafrechtliche Relevanz, sondern auch politische. Grenzwächter L. meinte bei der Befragung vor Gericht, er sei Vertreter des Staates und habe in dieser Funktion seine Pflicht getan. Das sei er auch, meinte die Anklage in der Schlussrede, und sie sei der Meinung, dass was der Angeklagte getan habe, ein falsches Bild der Eidgenossenschaft vermittle.
Ob das Gericht der Hauptanklage folgt und Grenzwächter L. zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren verurteilt, ob es eine der zwei milderen Varianten wählt mit Freiheitsstrafen von bis zu 3 Jahren, oder ob es den Angeklagten freispricht, das entscheidet sich am 7. Dezember bei der Urteilsverkündung.
Während des gesamten Prozesses vor dem Militärgericht war der Ehemann des Opfers im Gericht anwesend. RaBe fragte ihn, wie es ihm gehe, während er die Ereignisse vom Sommer 2014 nochmals Revue passieren liess.
Tag 1 – Gerichtsverhandlung vom 22. November
Am ersten Prozesstag vom Mittwoch wurde das Opfer befragt, sowie diverse ZeugInnen, unter ihnen der Ehemann und die Schwester des Opfers, sowie diverse Grenzwächter. Zudem stellte der Gutachter das rechtsmedizinische Aktengutachten vor: