Im RaBe-Info geht es heute um die Freilassung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in der Türkei und welchen Tribut diese Freilassung nun forderte, um einen neuen experimentellen Film über Gentrifizierung und um die verkannte Schönheit von Gedichten als etwas „Modernes“.
Willkürliche türkische Justiz
Über ein Jahr lang sass der deutsche Journalist Deniz Yücel in türkischer Isolationshaft, – angeblich wegen terroristischer Propaganda. Am vergangenen Freitag wurde Yücel nun überraschend frei gelassen. Weshalb er gerade jetzt aus der Haft entlassen wurde, darüber kann man zum jetzigen Zeitpunkt wohl nur spekulieren. Möglich ist, dass ein bevorstehendes Rüstungsabkommen zwischen Deutschland und der Türkei Einfluss hatte. Was jedoch feststeht: Die Freilassung von Deniz Yücel hatte auch sonst einen hohen Preis. Mehrere bekannte türkische Journalisten und Journalistinnen wurden am vergangenen Freitag nämlich zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Weltweit berichten die Medien derzeit vor allem über die Freilassung von Deniz Yücel und die möglichen Hintergründe. Dass gleichzeitig aber immer mehr Journalistinnen und Journalisten inhaftiert und verurteilt werden, darüber wird jedoch kaum gesprochen. Ulrike Gruska von Reporter ohne Grenzen sprach mit uns über die Willkür der türkischen Justiz und die äusserst bedenklichen Formen die sie langsam aber sicher annimmt.
Vom Hausbesetzer zum Hausbesitzer
Diese Woche feiert der experimentelle Dokumentarfilm «Die Gentrifzierung bin ich – Beichte eines Finsterlings» Premiere in Schweizer Kinos. Aus hunderten von Videoschnipseln hat der Journalist, Filmemacher und Künstler Thomas Haemmerli ein Werk gezimmert. Es besteht aus historischen Archivaufnahmen, aus Home-Video-Material und aus neu gefilmten Szenen. Einerseits erzählt der Film die Autobiografie eines Hausbesetzers, der zum Hausbesitzer wurde. Andererseits beleuchtet er die hässlichsten und schönsten Ergebnisse der Stadtplanung – oder der fehlenden Planung – in der Schweiz, in Brasilien, Frankreich, Mexiko und Georgien.
Michael Spahr hat den Filmemacher getroffen, der durchaus nicht wie ein Finsterling aussieht:
«Wer weiss, was Gentrifzierung bedeutet, ist ein Teil von ihr», sagt der Filmer und Autor Thomas Haemmerli treffend. Gentrifizierung ist ein Stadtentwicklungsbegriff, der die Aufwertung eines Quartiers bezeichnet – mit der Folge, dass dort der Wohn- und Arbeitsraum immer teurer wird und Kleinverdienende in andere Quartiere verdrängt werden. Im Film «Die Gentrifzierung bin ich» erzählt Thomas Haemmerli seine persönliche Geschichte vom Hausbesetzer in den bewegten 1980er-Jahren in Zürich zum Hausbesitzer mit Wohnungen in Zürich (ausgerechnet in einem Haus, das er früher bekämpft hatte), in Sao Paolo (Brasilien), Mexico-Stadt und Tiflis (Georgien). Er plädiert mit seinem Film für mehr Offenheit in der Stadtplanung von Schweizer Grossstädten: verdichten und hoch bauen könnte die Lösung sein, damit wieder mehr (und billigerer) Wohnraum entsteht. Haemmerli kritisiert sowohl rechte Angstmacherei («Dichtestress») als auch linke Dogmen («Beton ist böse»). Mit viel Humor präsentiert Thomas Haemmerli einen höchst politischen Film:
Mehr Info zum Film und die Möglichkeit mitzudiskutieren gibt’s unter gentrifizierung.me.
Lyriker Raphael Urweider
Viele scheuen sich vor der Lyrik: zu kompliziert, zu hochgestochen, zu komplex und zu verstaubt sei diese, so das gängige Credo. Dabei sei Lyrik doch aber etwas durchaus Modernes, schliesslich würden Gedichte ja nicht so anders funktioniern als ein Tweet oder eine Statusmeldung. Gedichte seien experimentell und schnell konsumierbar und desewegen zeitgenössisch wie das Internet. Das sagt der Berner Schriftsteller Raphael Urweider.
Der 43-Jährige preisgekrönte Lyriker Urweider ist ein Tausendsassa. Urweider schreibt Theaterstücke, rappt, ist ein begnadeter Pianist, tut bei der Too Late Show mit und hat mit «Wildern» soeben seinen vierten Gedichtband herausgegeben. Darin finden sich mehrere Gedichtzyklen, welche sich alle in irgendeiner Form mit Fremdsein, Entfremdung, Ortschaften oder eben: Verortung befassen. Urweiders Verse sind schlichte, leichte und doch kunstvolle Sprachgebilde, denen man nicht auf den ersten Blick ansieht, wie viel Arbeit dahintersteckt.