Im November wird es ernst. Anlässlich der jährlich stattfindenden 16 Tage gegen Gewalt an Frauen haben wir uns mit der Thematik Gewalt an Frauen* auseinander gesetzt.
Bist du selber von Gewalt betroffen?
Du bist nicht Schuld an dem, was passiert ist!
Es ist dein Recht, Hilfe zu holen!
Fachstellen und Informationen
Lantana, Fachstelle Opferhilfe bei sexueller Gewalt www.lantana-bern.ch | Tel. 031 313 14 00
Beratungsstelle Opferhilfe Bern www.opferhilfe-bern.ch | Tel. 031 370 30 70
Beratung & Hilfe www.147.ch | Tel. 147
Website für Jugendliche und Erwachsene www.zartbitter.de
Weiterführende Informationen und Links
http://frauenhaus-bern.ch/rubriken/was-tun-bei-h%C3%A4uslicher-gewalt
https://www.143.ch/Beratung/Gespraechsthemen/Haeusliche-Gewalt-Thema
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Playlist
Anlässlich dieser Sendung haben wir uns mit Nora Scheidegger ausgetauscht. Was sie als Fachperson zur Revision sagt, wollen wir euch nicht vorenthalten:
Revision des Schweizer Sexualstrafrechts
Nora Scheidegger
Im Schweizer Sexualstrafrecht ist es so, dass „Nein“ sagen nicht in jedem Fall ausreicht, um einen Täter nach nicht-einverständlichem Sex wegen Vergewaltigung zu bestrafen. Zwar wäre es falsch zu sagen, dass sich die Opfer immer körperlich wehren müssen, damit eine Verurteilung wegen Vergewaltigung überhaupt möglich ist. Es gibt aber Lücken – nämlich wenn ein Opfer zwar ausdrücklich sagt, dass es den Geschlechtsverkehr nicht will, der Täter dann aber trotzdem weitermacht, ohne aber ein Nötigungsmittel wie Gewalt, Drohung oder psychischen Druck anzuwenden. Nach dem geltenden Recht liegt in solchen Fällen keine Vergewaltigung vor, manche dieser Konstellationen können nur als sexuelle Belästigungen erfasst werden, obwohl eindeutig ein Fall von nicht-einverständlichem Geschlechtsverkehr vorliegt. Das ist nicht sachgerecht.
Das Problem ist meines Erachtens ein ganz Grundlegendes. In der Schweiz wird Vergewaltigung als erzwungener Sex definiert. Dieser Ansatz ist meiner Ansicht nach falsch und kann als ein Relikt aus früheren Zeiten bezeichnet werden. Viele Länder machen es schon länger anders und definieren Vergewaltigung als „sex without consent“, also nicht-einverständlichen Sex, so z.B. England. Dies ist sinnvoll, denn geschützt werden soll ja die sexuelle Selbstbestimmung. Und die ist nicht nur dann verletzt, wenn das Opfer gezwungen wird. Jede sexuelle Handlung, die gegen den Willen eines Opfers geschieht, ist eine ernstzunehmende Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung.
Die Schweiz ist dabei, die Istanbul-Konvention zu ratifizieren, ein Übereinkommen des Europarates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Dieses Übereinkommen verlangt, dass ein Täter, der eine nicht-einverständliche sexuelle Handlung an jemandem vornimmt, angemessen bestraft wird. Diese Verpflichtung erfüllen wir mit unserem Sexualstrafrecht nicht vollständig.
In Deutschland war die Rechtslage bis vor Kurzem ähnlich wie in der Schweiz. Viele Menschen, u.a. viele Juristinnen und Juristen, haben sich seit Jahren dafür eingesetzt, die Istanbul-Konvention ernst zu nehmen und das Sexualstrafrecht zu revidieren. Das ist ihnen nun gelungen, seit dem 10. November 2016 ist in Deutschland ein neues Sexualstrafrecht in Kraft. In einem neuen Tatbestand ist der Grundsatz „Nein heisst Nein“ ausdrücklich im deutschen Strafgesetzbuch verankert worden. Jetzt bleibt zu hoffen, dass auch die Schweiz den Handlungsbedarf erkennt und das Gesetz ändert.
Das geltende Schweizer Sexualstrafrecht definiert Vergewaltigung im Übrigen immer noch ausschliesslich als erzwungenen vaginalen Geschlechtsverkehr. Eine anale Vergewaltigung ist nach dem Gesetz keine Vergewaltigung, sondern nur eine sexuelle Nötigung. Dies, obwohl die betroffene Person – Mann oder Frau – nach dem allgemeinen Sprachgebrauch durchaus vergewaltigt worden ist und sich sicherlich auch so fühlt. Zwar werden in solchen Fällen ähnlich hohe Strafen ausgesprochen wie bei einer Vergewaltigung, trotzdem bleibt die unterschiedliche juristische Qualifikation. Diese absurde Definition führt ausserdem dazu, dass unser Vergewaltigungstatbestand nur weibliche Opfer und männliche Täter kennt. Damit werden alte Rollenbilder und gesellschaftliche Stereotypen zementiert. Diese Denkweise ist noch fest in den Köpfen verankert. Man denke z.B. daran, wie Männer in Filmen als Opfer einer heterosexuellen Vergewaltigung dargestellt werden. Solche Szenen werden fast ausschliesslich als Witz dargestellt und die Situation wird jeweils ins Lächerliche gezogen. Auch Witze über homosexuelle Vergewaltigungen im Gefängnis sind gesellschaftlich längst nicht so verpönt wie Witze über Vergewaltigungen an Frauen. Es ist aber eine Tatsache, dass es auch Formen der Vergewaltigung gibt von Frauen an Männern, von Männern an Männern und von Frauen an Frauen. Diese Übergriffe sollten nicht weniger ernst genommen werden, nur weil sie nicht ins Schema mit den vermeintlich typischen Täter-Opfer-Rollen passen. Alle Menschen haben das gleiche Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und damit das Recht, dass die Grenzen, die sie im Bereich der Sexualität setzen, respektiert werden. Ich bin deshalb der Meinung, die Strafnormen im Sexualstrafrecht geschlechterneutral formuliert werden und die vaginale Vergewaltigung keine solche Sonderstellung mehr haben sollte.