Eigentlich habe sie nach dem Praktikum ja die Uni besuchen wollen. Als Weta Workshop ihr aber noch während des Praktikums einen Job angeboten habe, habe sie keine Sekunden gezögert, sagt Rebekah Tisch. Auch heute noch, 15 Jahre später, bezeichnet Tisch ihren Beruf als Traumjob. Das neuseeländische Unternehmen Weta Workshop hat sich auf Spezialeffekte für Filme spezialisiert, das heisst, dass Weta Worskhop Design-Entwürfe, Kostüme, Requisiten, Kreaturen, Modelle und Grossskulpturen entwirft. So war Weta Workshop zum Beispiel zuständig für einen Grossteil der physischen Objekte, welche in Peter Jacksons «Herr der Ringe» zu sehen sind und hat für James Cameron die Welt der Avatare entwickelt. Das Kreieren von Charakteren mache ihr persönlich am meisten Spass, sagte Tisch, weil dabei künstlerisches Handwerk mit Soziologie, Ethnologie, Anthropologie gekoppelt werde. Bei der 18. Ausgabe des NIFFF, dem Fantastic Film Festival in Neuchâtel, gab die 33-jährige Einblick in ihr Schaffen.
Rebekah Tisch, sie betreiben bei ihrer Arbeit «World Building», Sie bauen also neue Welten für fantastische Filme. Ist es einfach, sich eine neue Welt auszudenken?
Beim World Building designen wir von Grund auf komplett neue Welten. Dabei starten wir mit dem grösseren Rahmen, kreieren ein Universum oder Planeten, dann zoomen wir rein, entwerfen Kontinente, Städte, Gebäude und gehen so immer weiter ins Detail. Eine komplett neue Welt zu kreieren ist eine ziemliche Herausforderung, weil wir uns dabei von unserer eigenen etablierten Gesellschaft gedanklich loslösen müssen. Unsere Welt funktioniert ja nach einem bestimmten Regelwerk. So definieren zum Beispiel physikalische Gesetze, was in unserer Welt passieren kann oder könnte. Von diesem Regelwerk müssen wir uns lösen und ein neues, eigenständiges designen. Das ist etwa gleich schwierig, wie wenn man sich eine neue Farbe vorstellen müsste.
Horror-, Fantasy- oder Sci-Fi-Filme wurden ja lange Zeit in die B-Movie Schmuddelecke verbannt, dabei gehören diese Genres doch eigentlich zu den Vorreitern bezüglich Technik. Nicht?
Absolut. Weil wir Welten bauen, die sich von unserer oftmals komplett unterscheiden, suchen wir auch ständig nach neuen technischen Mitteln, um diese Andersartigkeit darzustellen. Kommt hinzu, dass diese Genres Leute mit viel Einfallsreichtum und Neugierde anziehen, welche gerne experimentieren und Limits austesten und sprengen wollen. Das treibt dann natürlich die ganze Filmentwicklung voran.
Welche Aspekte von neuen Welt entwerfen Sie persönlich am liebsten?
Am liebsten arbeite ich an Charakteren und Kostümen. Für den Film Avatar habe ich ja die weibliche Hauptfigur Neytiri entworfen. Sie ist ein starker Charakter, der ihren Clan repräsentiert, und das floss dann natürlich auch in die Details mit ein, also in die Wahl von Kleidung, Schmuck, Haare etc. Bevor es ans Entwickeln einer einzelnen Figur geht, entwerfen wir aber immer zuerst die ganze Kultur, in welcher die Figur lebt, denn ein Charakter wird ja immer stark durch sein Umfeld geprägt. Das heisst, wir betreiben soziologische, anthropologische und ethnologische Studien und entwickeln daraus Grafiken und Tabellen. Wir überlegen uns, wie sich das Leben auf dem fiktiven Planeten entwickelt hat, welche Kulturen und Gesellschaften aus dieser Evolution hervorgingen, welches Wertesystem die Völker haben, woran sie glauben, was sie vergöttern, wonach sie streben und so weiter. Das ganze ist sehr komplex aber macht den Job eben auch sehr vielfältig, weil wir jeweils zu temporären Spezialisten in einem Gebiet werden.
Kreieren Sie auch eigene Sprachen für ihre Völker?
Ja, allerdings nicht komplexe linguistische Systeme mit stringenter Grammatik, wie sie etwa J.R.R. Tolkien für «Herr der Ringe» erfand. Bei meiner Arbeit steht vielmehr der visuelle Aspekt, also das Schriftbild im Vordergrund. So habe ich zum Beispiel ein paar Alien-Sprachen designed, die aber nicht gesprochen werden, sondern auf Schriftstücken oder in Tattoos zu sehen sind.
Wie detailliert sind die Vorstellungen, mit welchen die Regisseure an Sie herantreten, über die Welt, die es zu schaffen gilt?
James Cameron hatte eine relativ klare Idee, wie die Na’vi in «Avatar» sein sollen. Wir haben dann Regeln für ihr Zusammenleben definiert, für ihre Familienbanden, die Art und Weise wie sie jagen etc. Cameron schätze dieser Arbeit sehr, weil es seinen Charakteren zusätzliche Tiefe verlieh. Andere Regisseure haben manchmal nicht wirklich eine klare Vorstellung, wie ihre Filmwelt aussehen soll, weil sie nicht visuelle Typen sind. Beide Ausgangslagen – also ein Regisseur mit einer sehr genauen Vorstellung, oder ein Regisseur, der nicht weiss, was er will – bringen eine gewisse Herausforderung mit sich, weil wir in beiden Fällen zuerst herausfiltern müssen, wie sich das visuell umsetzten lässt.
Film-Regisseure, die nicht visuelle Typen sind? Das gibts?
Doch doch, die gibt es. Diese Sorte Regisseure interessiert sich vielleicht mehr für die Geschichte, die Charaktere und das Schauspiel selber. Sie sehen den Film nicht in ihrem Geist, sie spüren ihn mehr. Manchmal wird eine Regisseur ja auch von einem Studio eingesetzt, weil er gut darin ist, den ganzen Prozess zu managen und nicht unbedingt, weil er eine starke visuelle Ästhetik mitbringen würde.
Inwiefern unterscheidet sich das Gestalten von Welten für Games von demjenigen für Filme?
Game-Welten müssen viel detaillierter durchdacht sein, weil sie in 3D aufgebaut werden. Der Spieler muss in der Lage sein, die ganze Welt zu erkunden, bei einem Film wird ja nur ein kleiner Ausschnitt dieser Welt gezeigt. Ausserdem wird in Game-Projekten oft noch nach traditioneller Art gearbeitet, d.h. es wird erst einmal mit breiten Strichen und grossflächig ein Gesamtes entworfen, dann Schritt für Schritt verfeinert und detaillierter ausgearbeitet. Dies wäre eigentlich auch der ideale Ablauf. Im Film läuft es manchmal andersrum, weil viele Regisseure gleich wissen wollen, wie dann das Endprodukt aussieht.
Rüstungen, Geschütze und Waffen sind Gegenstände, welche oft in Games oder auch in Fantasy- oder Sci-Fi-Filmen vorkommen. Gibt es ihrer Meinung nach so etwas wie eine soziale Verantwortung beim Entwerfen von Waffen?
Ich selber designe keine Waffen und zwar aus dem simplen Grund, weil sie mich nicht interessieren und ich deshalb auch nicht weiss, wie sie funktionieren. Wenn in einem Film viele Waffen vorkommen, dann liegt die Verantwortung meiner Meinung nach nicht bei uns, sondern vielmehr beim Regisseur. Aber es hat tatsächlich auch schon Momente in meiner Karriere gegeben, in denen ich nicht bei einem Film mitarbeiten wollte, weil er für mich nicht die richtige Ausstrahlung und Message hatte. Das waren mehrheitlich extrem brutale Filme oder sehr bildhafte Horrorfilme. Das Gute bei Weta Workshop ist, dass es viele Designer und Designerinnen mit ganz unterschiedlichen Interessen gibt, weswegen man nicht bei einem Projekt mitarbeiten muss, wenn man das aus inhaltlichem oder ästhetischem Grund nicht möchte.
Die 18. Ausgabe des Fantastic Film Festival NIFFF läuft noch bis und mit Samstag 14. Juli 2018 in Neuchâtel.