Die Schweiz als Alpenland und „Wasserschloss Europas“ ist besonders vom Klimawandel betroffen. Erneut hat ein heisser Sommer unseren Gletschern stark zugesetzt. Wir haben uns längst an Nachrichten über das Abschmelzen der Gletscher gewöhnt – vor Ort mit eigenen Augen zu sehen, wie sich die Veränderungen auswirken, lässt einen jedoch nicht kalt.
RaBe-Info-Redaktorin Eva Rapp wollte wissen, in welchem Zustand sich die Gletscher im Quellgebiet der Aare nach dem Hitzesommer 2018 befinden und welche Folgen der dramatische Rückgang konkret hat. Dazu hat sie sich auf Spurensuche an die Grimsel begeben:
Von der Postautohaltestelle Grimsel Hospiz führt ein Weg dem Grimselstausee entlang durch das Tal des Unteraargletschers bis zur Lauteraarhütte des SAC, die auf 2393m.ü.M. hoch über dem Zusammenfluss des Lauteraar- und des Finsteraargletscher thront. Zum ersten Mal ist dieses Jahr der Wanderweg durchgängig weiss-rot-weiss markiert. Bis anhin galt er als alpine Route, da ein Teil des Wegs mit Leitern über ein Stück Gletscher führte. Nun ist das Eis an dieser Stelle fast vollständig geschmolzen – und der Zustieg zur Hütte damit einfacher geworden.
Der Hüttenwart Stefan Hablützel verbringt seine zweite Saison in der Lauteraarhütte. Ihm sind in der kurzen Zeit viele Veränderungen aufgefallen. Nebst dem bereits erwähnten Hüttenweg müssen insbesondere die Routen beliebter Hochtouren in diesem Gebiet immer wieder an neue Bedingungen angepasst werden. An vielen Stellen braucht es Leitern, die den Übergang vom Gletscher an den Fels ermöglichen. Stefan Hablützel erlebt auf eindrückliche Weise mit, wie nach kurzer Zeit die Leitern verlängert werden müssen, weil der Gletscher bereits wieder abgeschmolzen ist. Bergtouren werden also anspruchsvoller und auch gefährlicher. Durch den fehlenden Druck des Gletschers werden die Berghänge instabil, es kommt vermehrt zu Rutschen und Steinschlägen. Stefan Hablützel rechnet vor, wie lange der Gletscher unterhalb der Hütte noch besteht, wenn dieser weiterhin um durchschnittlich drei Meter pro Jahr abschmilzt – in rund 50 Jahren dürfte dieser ganz verschwunden sein.
Das Wasser der Aaregletscher wird an der Grimsel gestaut und von den Kraftwerken Oberhasli zur Produktion von Wasserkraft verwendet. Da diese als saubere und erneuerbare Energie ein wichtiger Pfeiler der Energiestrategie des Bundesrats ist, erstaunt es nicht, dass sich auch Wissenschaftler*innen und Kraftwerkbetreiber*innen darüber Gedanken machen, inwiefern sich der Gletscherrückgang zukünftig auf die Produktion von Wasserkraft auswirken wird.
Die Hydrologin Bettina Schaefli von der Universität Lausanne hat sich in einer schweizweiten Studie mit dieser Frage beschäftigt. Sie hat festgestellt, dass die Kraftwerke momentan durch das starke Abschmelzen der Gletscher mehr Wasser zur Verfügung haben, als sie durch Niederschläge jährlich erhalten. Mit diesem zusätzlichen Wasserbeitrag kann längerfristig nicht mehr gerechnet werden. Schaefli geht davon aus, dass Gletscher in der Grösse und Höhenlage der Aaregletscher bis Ende des Jahrhunderts nicht ganz verschwinden werden. Da aber ihre Pufferfunktion weitgehend entfällt (d.h. Speichern der Winterniederschläge in Form von Eis und zusätzliche Wasserabgabe im niederschlagsarmen Sommer), werden die Speicherseen als Ausgleichbecken wichtiger. Stefan Huber, Kommunikationsverantwortlicher der Kraftwerke Oberhasli bestätigt die Wichtigkeit der Speicherseen für die Netzstabilität. Nebst dem betont er, dass Stauseen eine wichtige Funktion haben beim Schutz vor Hochwasser und als Trinkwasserreservoir.
Die Erkenntnisse werfen die Frage auf, ob die Speicherkapazität der Stauseen längerfristig erhöht werden muss. Ausbauprojekte der Grimselstauwerke wurden bisher durch einen Rechtsstreit zwischen Kraftwerkbetreibern und Umweltverbänden blockiert. Der Bau neuer oder vergrösserter Staumauern tangiert Landschaften, die unter Naturschutz stehen und teilweise durch die Eingriffe unwiderruflich zerstört würden.