Lieben tun wir alle, wenn auch nicht alle das Gleiche: Es gibt die Liebe zur Familie, amouröse Liebe, Tierliebe, Geschwisterliebe, Polyamorie, die Ehe, Liebe ausserhalb von Grenzen und Normen. Das Festival Tanz in Bern interessiert sich bei seiner diesjährigen 10. Ausgabe in erster Linie für die verbotene Liebe und zeigt insgesamt 11 Produktionen, welche Aspekte dieser Thematik verhandeln.
Eröffnet wurde das Festival mit dem Stück «Antigone – twenty Looks or Paris is Burning at the Judson Church» des amerikanischen Choreographen und Tänzers Trajal Harrell. Darin verarbeitet Harrell die griechische Tragödie der Antigone. Diese findet den Tod, weil sie ihren geliebten Bruder Polyneikes bestattet, obwohl dies von König Kreon untersagt worden war.
In ihrer Performnace verknüpfen Harrell und drei weitere Tänzer die Geschehnisse rund um Antigone mit modernem Tanz und Voguing. Letzteres stammt unsprünglich aus der New Yorker «Ballroom Culture». In den 1960er-Jahren begannen schwule Männer und Transgender-Menschen mit mehrheitlich afro- oder lateinamerikanischem Hintergrund im Stadtteil Harlem Bälle zu veranstalten. Bei diesen Bällen messen sich verschiedene Gruppen, sogenannte Häuser, in unterschiedlichen Kategorien. Die Teilnehmenden schreiten dabei über einen Laufsteg, wobei eine Jury Auftritt, Haltung und Kostüme bewertet. Die Wettbewerbs-Kategorien sind sehr fantasievoll und vielfältig, denn schliesslich geht es nebst dem Gewinnen ja vor allem auch darum, in einem geschützten Rahmen die eigene Identität ausleben und ausloten zu können. Entsprechend waren und sind diese Bälle denn auch wichtige soziale Zusammenkünfte für LGBT-Community.
Voguing ist eine der Disziplinen im Ballroom-Wettbewerb, wobei sich der Name auf das Modemagazin Vogue bezieht. Entsprechend geht es in dieser Kategorie darum, Mode-Posen nachzuahmen, wie man sie von Laufstegen kennt. 1990 fand Voguing dank Madonnas Song Vogue den Weg aus der Subkultur in den Mainstream. Es sei ein gängiger Prozess, dass sich die Welt des Pop bei Subkulturen bediene, sagt Trajal Harrell. Allerdings sei es immer auch zweischneidig, wenn einflussreiche Menschen mit Macht und grossem Netzwerk eine Subkultur-Ästhetik für sich adaptierten. «Madonna hat damit viel Geld verdient, Geld, das die Leute in der Community selber nie haben werden. Natürlich wäre es toll gewesen, wenn diese Menschen die gleichen Ressourcen gehabt hätten. Aber andererseits hat die Aufmerksamkeit einigen von ihnen dann wiederum zu Jobs verholfen.»
Auch für ihn stelle sich die Frage, wie man den Ursprüngen Respekt zolle und diese ehre, sagt Trajal Harrell, denn schliesslich bediene auch er sich Elementen des Voguing. Einerseits zollt der 45-jährige den Ursprüngen Tribut, indem er im Titel seiner Performance auf den Dokumentarfilm Paris is burning verweist, welcher die New Yorker Ballroom Community beleuchtet. «Mir ist es wichtig zu betonen, dass ich nur Nachforschungen betrieben habe, selber aber kein Voguer bin und daher auch nicht für die Community spreche. Ich sage den Leuten immer, dass sie selber die Community besuchen sollen, um sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen.»
Die 10. Ausgabe des Festivals Tanz in Bern läuft noch 11. November in der Dampfzentrale. Alle weitern Infos zum Programm gibt’s hier. Am Sonntag 4. November gibt der brasilianische Künstler und Tänzer Ivy Monteiro einen Workshop für Voguing-Interessierte.