Wenn sich ein Kind nicht so benimmt, wie es die Anstandsregeln verlangen, ist man schnell zur Hand mit Vorurteilen. Und wenn dieses Kind dann auch noch mit einer alleinerziehenden Mutter in einer kleinen Dorfgemeinschaft lebt, dann sowieso. Diese und andere Aspekte verhandelt Autorin Tabea Steiner in ihrem ersten Roman «Balg». Die 37-Jährige ist keine Unbekannte im Literaturzirkus, hat sie doch das Thuner Literaturfest Literaare initiiert, ist Mitorganisatorin des Berner Lesefests Aprillen und ausserdem Mitglied der Jury der Schweizer Literaturpreise.
Vier Jahre lang hat Tabea Steiner an ihrem Erstling «Balg» gearbeitet, herausgekommen ein Roman, der berührt. Im Zentrum steht die ungleiche Freundschaft zwischen dem Knaben Timon und einem ehemaligen Dorflehrer namens Valentin. Beide habe sie ihr liebe Mühe im Leben, beide ecken sie an, beide sind sie einsam. Timon wird von seiner alleinerziehenden Mutter sträflich vernachlässigt und in der Schule ausgegrenzt. Er beginnt andere zu schlagen, quält Tiere, klaut, trinkt und raucht bereits im zarten Alter von 12 Jahren. Auf der anderen Seite ist da dieser Valentin, der nach einem Nervenzusammenbruch seine Arbeit als Lehrer hat aufgeben müssen und nun als Postbote im namenlosen Dorf arbeitet. Seine Frau und Tochter haben ihn verlassen, der kauzige Valentin selber beteiligt sich kaum an der Dorfgemeinschaft. Nach und nach beginnt sich ein zartes Band der Freundschaft zwischen Timon und Valentin zu entwickeln, was allerdings im Dorf äusserst kritisch beäugt wird.
Mit Hilfe von Perspektivenwechseln lässt Tabea Steiner die Leserschaft am Innenleben der Figuren teilhaben. So leidet und verzweifelt man fast mit Timon, kann aber gleichzeitig die Überforderung der alleinerziehenden Mutter nachvollziehen. Es sind Themen wie Einsamkeit Armut und soziale Kontrolle, welche Steiner in «Balg» verhandelt. Die schlanke, manchmal schon fast karge Sprache spiegelt den lieblosen Umgang, welcher zwischen vielen Figuren herrscht, während gelegentliche inhaltliche Vagheit – so werden etwa Zeitsprünge nicht explizit kenntlich gemacht und Timons Name und Alter bleiben lange unerwähnt – verdeutlicht, dass es hier wenig gibt, worauf man sich wirklich verlassen kann.
«Balg» ist ein starkes Debut, welches auf vielschichtig Art und Weise beleuchtet, wie aus einem Kind ein ungezogenes Kind, ein «Balg», werden kann. Das gelingt Steiner ganz ohne moralischen Zeigefinger.
Tabea Steiner liest am Mittwoch 13. März 2019 im Café Kairo.
Das RaBe-Interview mit Tabea Steiner: