Der algerische Langzeitpräsident Bouteflika will nicht noch einmal kandidieren – nach wochenlangen Protesten – ein Gespräch mit dem Algerienkenner Werner Ruf. Die Konzernverantwortungsinitiative kommt wohl ohne Gegenvorschlag vors Volk – die Hintergründe. Der Debutroman «Balg» von Tabea Steiner beschäftigt sich mit einem ungezogenen Kind – ein Interview.
Algerien in Aufruhr
Algeriens umstrittener Präsident Abdelaziz Bouteflika beugt sich den Massenprotesten. Nach wochenlangen Demonstrationen und Streiks ist nun klar, dass der langjährige Präsident bei den kommenden Wahlen nicht mehr antritt. Die Machthaber haben die auf Mitte April angesetzten Wahlen verschoben und angekündigt, eine nationale Versammlung einzuberufen, die Reformen aufgleisen, eine neue Verfassung entwerfen und dann einen neuen Wahltermin festlegen soll. Für die Protestbewegung ist das aber nur ein kleiner Sieg. Im Land macht sich Misstrauen breit, weil die Symbolfigur zwar weg ist, nicht aber das Regime. Politikwissenschaftler und Algerien-Kenner Werner Ruf hofft, dass die angekündigten Reformen dem Land wirklich mehr Demokratie bringen, und die aktuellen Proteste nicht stattdessen in einen Bürgerkrieg münden:
Konzernverantwortungsinitiative kommt vors Volk – ohne Gegenvorschlag
Schweizer Konzerne sollen haften, wenn sie oder ihre Tochterfirmen im Ausland Menschenrechte oder Umweltstandards verletzen. Das fordert die Konzernverantwortungsinitiative. Nachdem der Bundesrat die Initiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfohlen hatte, rangen Stände- und Nationalrat lange um einen Gegenvorschlag. Der Nationalrat kam dem Initiativ-Komitee soweit entgegen, dass dieses ernsthaft darüber nachdachte, die Initiative zurückzuziehen. Gestern nun aber machte der Ständerat mit knappen 22 zu 20 Stimmen diesem Gegenvorschlag einen wohl definitiven Strich durch die Rechnung. Ein Schweizer Alleingang schade der hiesigen Wirtschaft, so die Befürchtungen, und die weltweite Haftung von Schweizer Konzernen führe zu einer Klagewelle. Die Vorlage geht nun zurück an den Nationalrat. Dass noch ein Gegenvorschlag zustande kommt, ist unwahrscheinlich. Das Initiativkomitee rüstet sich für den Abstimmungskampf.
Wie aus einem Kind ein «Balg» wird
Wenn sich ein Kind nicht so benimmt, wie es die Anstandsregeln verlangen, ist man schnell zur Hand mit Vorurteilen. Und wenn dieses Kind dann auch noch mit einer alleinerziehenden Mutter in einer kleinen Dorfgemeinschaft lebt, dann sowieso. Diese und andere Aspekte verhandelt Autorin Tabea Steiner in ihrem ersten Roman «Balg». Die 37-Jährige ist keine Unbekannte im Literaturzirkus, hat sie doch das Thuner Literaturfest Literaare initiiert, ist Mitorganisatorin des Berner Lesefests Aprillen und ausserdem Mitglied der Jury der Schweizer Literaturpreise.
Vier Jahre lang hat Tabea Steiner an ihrem Erstling «Balg» gearbeitet, herausgekommen ein Roman, der berührt. Im Zentrum steht die ungleiche Freundschaft zwischen dem Knaben Timon und einem ehemaligen Dorflehrer namens Valentin. Beide habe sie ihr liebe Mühe im Leben, beide ecken sie an, beide sind sie einsam. Timon wird von seiner alleinerziehenden Mutter sträflich vernachlässigt und in der Schule ausgegrenzt. Er beginnt andere zu schlagen, quält Tiere, klaut, trinkt und raucht bereits im zarten Alter von 12 Jahren. Auf der anderen Seite ist da dieser Valentin, der nach einem Nervenzusammenbruch seine Arbeit als Lehrer hat aufgeben müssen und nun als Postbote im namenlosen Dorf arbeitet. Seine Frau und Tochter haben ihn verlassen, der kauzige Valentin selber beteiligt sich kaum an der Dorfgemeinschaft. Nach und nach beginnt sich ein zartes Band der Freundschaft zwischen Timon und Valentin zu entwickeln, was allerdings im Dorf äusserst kritisch beäugt wird.
Mit Hilfe von Perspektivenwechseln lässt Tabea Steiner die Leserschaft am Innenleben der Figuren teilhaben. So leidet und verzweifelt man fast mit Timon, kann aber gleichzeitig die Überforderung der alleinerziehenden Mutter nachvollziehen. Es sind Themen wie Einsamkeit Armut und soziale Kontrolle, welche Steiner in «Balg» verhandelt. Die schlanke, manchmal schon fast karge Sprache spiegelt den lieblosen Umgang, welcher zwischen vielen Figuren herrscht, während gelegentliche inhaltliche Vagheit – so werden etwa Zeitsprünge nicht explizit kenntlich gemacht und Timons Name und Alter bleiben lange unerwähnt – verdeutlicht, dass es hier wenig gibt, worauf man sich wirklich verlassen kann.
«Balg» ist ein starkes Debut, welches auf vielschichtig Art und Weise beleuchtet, wie aus einem Kind ein ungezogenes Kind, ein «Balg», werden kann. Das gelingt Steiner ganz ohne moralischen Zeigefinger.
Tabea Steiner liest am Mittwoch 13. März 2019 im Café Kairo.