Warum kann Temporärarbeit auch eine Krux sein? Warum hat sich die Rechtslage für LGBTI in der Schweiz verschlechtert? Und inwiefern kann das Tourette-Syndrom auch eine Quelle der künstlerischen Inspiration sein? Diese und andere Fragen beantworten wir im heutigen Info-Podcast:
Temporärarbeit – nicht alles Gold, was glänzt
Über 2.5% der Jobs werden heute von temporär Angestellten verrichtet. Das ist fünfmal soviel wie vor zwanzig Jahren. Tendenz steigend.
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB kritisiert diesen Trend, weil Menschen, die temporär arbeiten weniger verdienen und weniger Sicherheit haben, trotz einem seit 2012 gültigen Gesamtarbeitsvertrag.
In einem neuen Dossier zeigt der SGB auf, dass temporäre Arbeit nur selten zu einer Festanstellung führt. Mehr als die Hälfte aller temporär Arbeitenden hofft zwar auf eine feste Anstellung. In über 80% der Fälle findet das jedoch nicht statt. Oft diene Temporärarbeit nur der kurzzeitigen Überbrückung von Engpässen und biete wenig langfristige Perspektiven, sagt Daniel Lampart, Sekretariatsleiter und Chefökonom des SGB, gegenüber RaBe. Gerade weil sehr viele Migrant*innen temporär arbeiten, könnte der Eindruck entstehen, Temporärarbeit sei gut für die Integration, weil sie Jobs biete. Aber auch das stimme nicht, sagt Lampart, denn eine gute Integration von Migrant*innen funktioniere viel besser über eine Festanstellung.
Beunruhigt über die Zunahme der Temporärarbeit ist der SGB auch, weil nicht nur immer mehr Unternehmungen im Online-Geschäft wie Uber auf diese Form der Arbeit setzen, sondern auch relativ traditionelle Staatsbetriebe wie die SBB oder die Post. Der Gewerkschaftsbund fordert jetzt konkrete Massnahmen, wie zum Beispiel, dass temporäre Jobs spätestens nach einem halben Jahr in eine Festanstellung umgewandelt werden sollen. Grundsätzlich sollen Temporärangestellte genau die gleiche Rechte haben wie Festangestellte.
LGBTI-Rechte europaweit unter Druck
Wie die gestern veröffentlichte Rainbow Map von ILGA-Europe, der Dachorganisation von weltweit über 600 LGBTI-Organisationen zeigt, stagniert in vielen, europäischen Ländern Rechtslage von LGBTI. In anderen Ländern, so auch in der Schweiz, hat sich deren Situation im letzten Jahr verschlechtert. Die Schweiz hat 5 Plätze eingebüsst und rangiert im europäischen Vergleich nun auf Platz 27 von 49 im hinteren Mittelfeld.
Die Gründe sind vielfältig. Grund ist einerseits der fehlende Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung und der Genderindentität, andererseits der unzureichende Schutz von trans und intergeschlechtlichen Menschen. Laut Audrey Aegerter, Präsidentin von InterAction, ein Schweizer Verein für intergeschlechtliche Menschen kritisiert, dass in der Schweiz Intergeschlechtlichkeit nach wie vor als Krankheit gewertet werde, und chirurgische Eingriffe und Hormonbehandlungen nach oder bereits vor der Geburt vorgenommen werden, ohne Einwilligung der betreffenden Person. Dafür wurde die Schweiz bereits vier Mal von den Vereinten Nationen UNO gerügt.
Theater mit Tourette
«Wir müssen reden» – so das Motto des Theaterfetivals AUAWIRLEBEN, das zurzeit in vollen Gängen ist. Im Fall der britischen Theaterschaffenden und Comedian Jess Thom ist das Motto wortwörtlich zu verstehen: Jess Thom muss tatsächlich reden, denn sie hat das Tourette-Syndrom. Die neurologische Erkrankung führt dazu, dass Menschen mit Tourette Bewegungen und Geräusche machen, die sie nicht kontrollieren können – sogenannte Tics.
Im Schnitt wird 1 von 162 Kindern mit Tourette diagnostiziert. Viele Menschen hätten schon davon gehört, aber deren Wissen basiere vor allem auf Mythen und Stereotypen, sagt Jess Thom. Tourette entstehe weder durch schlechte Erziehung noch Nervosität und sei auch nicht mit Fluchen gleichzusetzten. Nur gerade 10% der Menschen mit Tourette hätten Coprolalia, also unhöfliche und obszöne Tics.
In ihrem aktuellen Theaterprogramm «stand up, sit down, roll over» berichtet die 38-jährige Britin mit viel Humor aus ihrem Alltag mit Tourette. Es gebe viele Leute, die sich über Tourette lustig machen würden, sagt Jess Thom. Lachen sei grundsätzlich eine gute Art, mit Tourette umzugehen. Allerdings sollte es ein Lachen mit und nicht ein Lachen über Menschen mit Tourette sein. «Das Syndrom ist komplex und hat eine enorme Auswirkung auf das Leben der Menschen, die es haben. Tourette hat aber definitiv auch eine lustige Seite. Einige der Tics können surreal und komisch sein, und einige der Erfahrungen, die ich in einer Welt mache, die nicht auf mich eingestellt ist, sind ziemlich lustig.»
Jess Thom reagiert in ihrem Bühnenprogramm spontan auf das, was ihr das Tourette-Syndrom gerade verbal beschert. «Ich mache oft Witze darüber, dass ich als Stand-up-Comedian nur die Hälfte meines Sets schreiben muss, die andere Hälfte besorgen meine Tics. Ich muss mir auch keine Sorge machen, dass peinliche Stille entstehen könnte, denn mein Hirn füllt diese Stille immer irgendwie. Oft mit irgendwelchem zufälligen Zeugs. Ich empfinde es als grosses Glück, Zugang zu einer solchen Kreativität zu haben. Ja, Tourette bringt Herausforderungen mit sich, aber gleichzeitig bringt ein Hirn, das nicht normativ funktioniert, eben auch spannende Perspektiven und Vorteile mit sich.»
Jess Thom ist Mitbegründerin der Organisation Touretteshero. Das Theaterfestival Auawirleben dauert noch bis und mit Sonntag 19. Mai 2019.
Original Interview with Jess Thom in English: