«Wir müssen reden» – so das Motto des Theaterfetivals AUAWIRLEBEN, das zurzeit in vollen Gängen ist. Im Fall der britischen Theaterschaffenden und Comedian Jess Thom ist das Motto wortwörtlich zu verstehen: Jess Thom muss tatsächlich reden, denn sie hat das Tourette-Syndrom. Die neurologische Erkrankung führt dazu, dass Menschen mit Tourette Bewegungen und Geräusche machen, die sie nicht kontrollieren können – sogenannte Tics.
Im Schnitt wird 1 von 162 Kindern mit Tourette diagnostiziert. Viele Menschen hätten schon davon gehört, aber deren Wissen basiere vor allem auf Mythen und Stereotypen, sagt Jess Thom. Tourette entstehe weder durch schlechte Erziehung noch Nervosität und sei auch nicht mit Fluchen gleichzusetzten. Nur gerade 10% der Menschen mit Tourette hätten Coprolalia, also unhöfliche und obszöne Tics.
In ihrem aktuellen Theaterprogramm «stand up, sit down, roll over» berichtet die 38-jährige Britin mit viel Humor aus ihrem Alltag mit Tourette. Es gebe viele Leute, die sich über Tourette lustig machen würden, sagt Jess Thom. Lachen sei grundsätzlich eine gute Art, mit Tourette umzugehen. Allerdings sollte es ein Lachen mit und nicht ein Lachen über Menschen mit Tourette sein. «Das Syndrom ist komplex und hat eine enorme Auswirkung auf das Leben der Menschen, die es haben. Tourette hat aber definitiv auch eine lustige Seite. Einige der Tics können surreal und komisch sein, und einige der Erfahrungen, die ich in einer Welt mache, die nicht auf mich eingestellt ist, sind ziemlich lustig.»
Jess Thom reagiert in ihrem Bühnenprogramm spontan auf das, was ihr das Tourette-Syndrom gerade verbal beschert. «Ich mache oft Witze darüber, dass ich als Stand-up-Comedian nur die Hälfte meines Sets schreiben muss, die andere Hälfte besorgen meine Tics. Ich muss mir auch keine Sorge machen, dass peinliche Stille entstehen könnte, denn mein Hirn füllt diese Stille immer irgendwie. Oft mit irgendwelchem zufälligen Zeugs. Ich empfinde es als grosses Glück, Zugang zu einer solchen Kreativität zu haben. Ja, Tourette bringt Herausforderungen mit sich, aber gleichzeitig bringt ein Hirn, das nicht normativ funktioniert, eben auch spannende Perspektiven und Vorteile mit sich.»
Jess Thom ist Mitbegründerin der Organisation Touretteshero. Das Theaterfestival Auawirleben dauert noch bis und mit Sonntag 19. Mai 2019.
Original Interview with Jess Thom in English: