Wie weiter mit leeren Räumen – die Räumung des Fabrikool wirft Fragen auf. Warum nur ein strengeres Waffengesetz mehr Sicherheit bringt – ein Gespräch mit einer Angehörigen eines Opfers von Waffengewalt in der Schweiz:
Räumung des Kulturzentrums Fabrikool
Zahlreiche Polizeifahrzeuge, Umzugswagen und Lieferwagen von Gerüst- und Gartenbauunternehmen säumten am Dienstagvormittag die Fabrikstrasse in der Länggasse. Die angekündigte polizeiliche Räumung des Kulturzentrums Fabrikool ging schnell, ohne Widerstand und Zwischenfälle über die Bühne. Mittlerweile ist das Gebäude mit einem 4 Meter hohen Zaun umzäunt und wird von der privaten Sicherheitsfirma Vüch während 24 Stunden überwacht.
Nach der Räumung blickten Regierungsrat Christoph Neuhaus und Kantonsbaumeister Angelo Cioppi im Rahmen einer kurzfristig anberaumten Medienkonferenz zurück auf die Ereignisse der letzten Monate. Sie begründen die Räumung damit, dass das Fabrikool-Kollektiv den Gebrauchsleihvertrag Ende März aufgekündigt hatte und für den Kanton ein vertragsloser Zustand kein Zustand sei. Weiter machen sie Sicherheitsbedenken geltend und kritisieren die verbalen Angriffe gegen das Architekturbüro Hebeisen+Vatter, an das der Kanton die Liegenschaft im Baurecht verkauft hatte. Zudem bemängeln sie, dass der Kanton keine direkte Ansprechsperson inkl. Telefonnummer im Kollektiv mehr hat – ein bekanntes Problem bei Verhandlungen zwischen Behörden und konsensorientierten Kollektiven.
Kantonsbaumeister Angelo Cioppi im Gespräch mit RaBe:
Das Fabrikool-Kollektiv seinerseits zeigt sich nach der Räumung enttäuscht und wütend. 17 Jahre lang stand die alte Schreinerei leer, bevor sie das Kollektiv 2017 besetzte. Mit unzähligen Stunden Freiwilligenarbeit wurde das baufällige Haus renoviert, geputzt, eingerichtet und belebt. Das Fabrikool wurde zu einem wichtigen Ort für kreative Ideen, jenseits von Konsumzwang.
Die Wiederbelebung des Hauses weckte Begehrlichkeiten bei Vereinen, Architekt*innen und Hotels, weshalb sich der Kanton schliesslich dazu entschied, eine öffentliche Ausschreibung zu machen, um „eine Gleichbehandlung aller Interessent*innen“ zu gewährleisten, so Kantonsbaumeister Angelo Cioppi. Dass das Fabrikool-Kollektiv bei einer solcherlei definierten Gleichbehandlung schnell aus dem Rennen war, liegt auf der Hand.
Stellungnahme des Fabrikool-Kollektivs nach der Räumung:
Das Fabrikool wurde gestern früh geräumt. Das heisst, das Gebäude wurde mit Enzian aufgebrochen, von den Behörden verbarrikadiert und vier Meter hoch eingezäunt, damit es nicht weiter belebt werden kann. Gewohnt hat dort zwar niemand – das Projekt lebt von den Menschen, die darin aktiv sind, den Ort als Treffpunkt nutzen und an unterschiedlichsten Ideen basteln. Für viele ist es aber nicht nur ein wichtiger Ort, sondern ein Zuhause. Auch neben den regelmässigen Öffnungszeiten, zum Beispiel in der Velowerkstatt Radau, in der Infothek Furia oder für veganes z‘mittag, ist immer etwas gelaufen. Oft wurde für Demos oder andere Anlässe gekocht, oft einfach nur so, aber immer für alle und immer auf Kollektenbasis, das heisst alle geben was sie können und mögen. Genauso in der Infothek, in den Werkstätten, bei Festen, Vorträgen, Bars, Konzerten: das Fabrikool richtet sich gegen Konsumzwang. Ein Raum also, in dem alle sein können, unabhängig von finanziellen Mitteln. Und damit ein Ort jenseits der kapitalistischen Leistungsgesellschaft, jenseits dessen, was die Möchtegernbesitzer Hebeisen+Vatter planen und jenseits der geplanten Stadtaufwertung und Verteuerung.
Dieser Raum wurde uns nun gewaltsam weggenommen. Das macht uns traurig. Es steckt enorm viel gemeinsame Arbeit in dem Haus, wir haben von Fenstern bis Küche alles selbst repariert, gebaut und angeschleppt. Wenn der Bund unser Haus ein „altes, verlottertes Holzgebäude“ nennt, kann damit nur der 15jährige Leerstand gemeint sein, bevor wir es uns genommen haben. Inzwischen gibt es eine grosse Sammlung von Maschinen, wie zur Holz- und Metallverarbeitung, eine Druckerei, eine teils mobile Küchenausstattung, einen selbstgebauten Pizzaofen und fast 2000 Bücher.
Diesen Raum haben uns die Befehlsempfänger des Staates zwar genommen, aber unsere Ideen kann uns niemand nehmen. Wir sind traurig, dabei zusehen zu müssen, wie unser Quartiertreffpunkt, unser Lebensraum, von Cops zerstört wird, wie sie nicht einmal davor zurückschrecken, zwei junge Menschen einzupacken und mitzunehmen, weil sie Fotos machen. Wie sie willkürlich Personen, die sich solidarisch mit dem Fabrikool zeigen, kontrollieren, festhalten, durchsuchen, belästigen. Wie der Kantonsverteter Beat Keller seinen Genuss kaum verbergen kann und das Velowerkstatt-Schild gleich eigenhändig abschraubt. Wie die Bäume und Sträucher rundherum einem vier Meter hohen Zaun weichen müssen. Wir sind traurig, dass die Kinder, die im Fabrikool einen Raum besetzt haben, von Leerstand, Betonwüsten und Konsumtempeln verdrängt werden. Dass kein Platz ist für riesige Spielplätze wie das Fabrikool einer ist, aber einer für alle, egal ob jung oder alt. Es macht uns betroffen, wenn die ganz Kleinen anfangen zu weinen angesichts der Räumung, und finden „jetzt können wir keine Feste mehr feiern im Fabrikool?“, wenn sie von klein auf mit der Gewalt des Staates konfrontiert werden.
Und all das macht uns vor allem eins: wütend.
Genauso breit wie das Gebäude belebt wurde, gestaltet sich der Widerstand. Das Bild vom militanten schwarzen Block allein auf weiter Flur, das Kanton und Bullen versuchen in den Medien von uns zu zeichnen, ist in der Realität keinen Meter haltbar. Das hat sich bei allen bisherigen Demos gezeigt und wir werden es diesen Freitag wieder zeigen, wenn wir um 18 Uhr von der Länggasse gemeinsam in Richtung Innenstadt laufen, um unsere Wut auf die Strasse zu tragen. Denn auch wenn für Neuhaus das Projekt abgeschlossen scheint, für uns ist es das noch lange nicht. Für uns ist nichts vorbei. Unser Widerstand ist nicht an das Gebäude gebunden, wir leben unseren Widerstand im Alltag. Das besondere am Fabrikool ist, alle Ideen und Methoden haben Platz – ausser es handelt sich um unterdrückende, diskriminierende Kackscheisse natürlich. Alle können sich selbst überlegen, wie und mit welchen Mitteln sie das Fabrikool unterstützen möchten.
Am Donnerstag, 16. Mai um 19 Uhr findetvor dem Fabrikool eine vom Online-Magazin Journal B organisierte Podiumsdiskussion statt. Am Freitag, 17. Mai um 18 Uhr findet in der Länggasse eine Kundgebung statt.
„Meine Schwester war da, er war da und die Waffe war da“
Christine Eberle war eine kreative junge Frau, reiselustig, rebellisch. 1996 wurde sie in ihrer eigenen Wohnung erschossen. Sie wurde dreissig Jahre alt. Ein einziger Schuss aus einer Ordonanzwaffe, ausgelöst von einem jungen Mann aus dem Umfeld von Christine Eberle.
Im darauffolgenden Prozess sagte der Täter aus, Christine Eberle habe ihm wegen Drogen zweihundert Franken geschuldet. Deshalb sei ihm „der Faden gerissen“. Es war keine Fehde und kein geplanter Mord, sondern Wut und Gelegenheit, sagt
Christine Eberles Schwester heute. Monica Nobel hatte eine sehr enge Beziehung zu ihrer kleinen Schwester. Sie fragt sich noch heute, ob es anders gekommen wäre, wenn der Drogendealer keine Waffe Zuhause gehabt hätte.Monica Nobel kämpft seither für ein strengeres Waffenrecht. Als 2011 die Waffeninitiative vors Volk kam, machte sie ihre Familiengeschichte öffentlich. Die Initiative ist damals gescheitert. Am 19. Mai 2019 wird wieder darüber abgestimmt, ob das Waffengesetz verschärft werden sollte. Monica Nobel ist für das neue Gesetz. Es sei zwar nur ein kleiner Schritt, bisher habe aber jede Verschärfung zu weniger Schusswaffentoten geführt. Über neunzig Prozent der Schusswaffentoten in der Schweiz sind Menschen, die sich selbst erschossen haben. Monica Nobel hatte mehrere Personen in ihrem Umfeld, die sich mit einer Waffe das Leben genommen haben. Wenn eine Waffe griffbereit sei, werde der Prozess eines Suizides verkürzt. Es sei eben nicht nur der Mensch hinter der Waffe, der töte, sondern auch die Waffe, sagt sie. Monica Nobel ist Köchin, aktiv in der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA und in der BastA!, Basels starke Alternative.