Mit Virtual Reality die Nazi-Verbrechen sichtbar machen und zerstörte Synagogen wieder aufbauen, mit Hacking als Kunstform gegen die Auswirkungen des Kolonialismus kämpfen und mit einem Systemwechsel alle Bürger*innen zum Milizengegament verpflichten… über das berichten wir heute im RaBe-Info:
Virtual Realitiy und «gehackte» antike Kunst
Für die einen sind es lustige Spielereien. Für andere ist es die Zukunft des Reisens und der Kommunikation: Virtual Reality (virtuelle Realität – kurz VR) ist im Vormarsch. Immer mehr Spiele, Filme und andere Anwendungen können mit VR-Brillen betrachtet werden und führen uns in vermeintlich echte Fantasiewelten. Nicht um Fantasiewelten, sondern um konkrete historische Erlebnisse geht es den Archäolog*innen und Architekt*innen, die dank VR alte Gebäude wieder neu aufleben lassen. Im Moment versuchen Dutzende von Forschenden, die antike Stadt Palmyra in Syrien wieder zum Leben zu erwecken. Diese wurde zu einem grossen Teil von den Milizen des sogenannt islamischen Staates zerstört. Dank VR-Technologie kann sie zwar nicht wieder aufgebaut werden, doch sie kann im virtuellen Raum wieder in ihrer ursprünglichen Form besucht werden.Marc Grellert von der technischen Universität Darmstadt hat schon vor zwanzig Jahren mit der sogenannten virtuellen Rekonstruktion von zerstörten Gebäuden begonnen. Über Tausend Synagogen, jüdische Gotteshäuser, wurden während der Nazi-Zeit in Deutschland zerstört. Grellert und sein Team haben viele dieser Synagogen virtuell wieder zum Leben erwckt. Mit einer VR-Brille können wir diese Synagogen von Aussen und Innen erleben. Nachdem Neonazis in den Neunzigerjahren wieder begannen Synagogen in Deutschland anzugreifen, begann Grellert seine Arbeit. Er wollte mit diesen Rekonstruktionen ein Gefühl bei den Menschen auslösen und deren Bewusstsein für die Greueltaten der Nazis schärfen. Gleichzeitig schufen er und seine Kolleg*innen eine Basis für weitere virtuelle Rekonstruktionen. Eine wichtige Hilfe waren alte Pläne von deutschen Synagogen, die noch erhalten waren. Zudem sprachen Grellert und seine Kolleg*innen mit Zeitzeug*innen, die in ihrer Jugend diese Synagogen besucht hatten, bevor sie von den Nazis und ihren Mitläufer*innen zerstört wurden.
Beispiele von virtuell rekonstruierten Synagogen, die von der TU Darmstadt als Virtual Reality wieder aufgebaut wurden:
Interview mit Marc Grellert über die Hintergründe der virtuellen Rekonstruktionen von Synagogen:
Ebenfalls mit neuer Technologie arbeitet die Medienkünstlerin Nora Al-Badri. Und auch sie sieht die Technologie nicht als etwas losgelöstes von der Gesellschaft, sondern als Mittel, um die Menschen zu bewegn. Zum Beispiel macht sie digitale Kunst, um koloniale Verhältnisse anzuprangern.
Das wohl bekannteste Beispiel ihrer Arbeit ist der sogenannte «Nefertiti Hack». Nefertiti oder Nofretete war eine Königin im antiken Ägypten vor rund Dreieinhalb Tausend Jahren. Berühmt ist Nofretete, weil Archäologen einst eine Büste der Königin entdeckten. Diese Büste steht seit hundert Jahren in Deutschland, im Moment im Neuen Museum in Berlin – und diese Büste bildete die Basis für den «Nefertiti Hack». Die ausgestellte Nofretete-Büste durfte nicht fotografiert werden und war exklusiv zahlenden Besucher*innen des Museums vorenthalten. Nora Al-Badri und ihr Künstlerkollege Jan Nikolai Nelles machten Bilder mit ins Museum geschmuggelten Kinect-Geräten. Sie konnten die Büste virtuell rekonstruieren und stellten den Datensatz der Weltöffentlichkeit unentgeltlich zur Verfügung. Medienkünstler*innen aus aller Welt begannen Nofretete-Büsten herzustellen mit 3D-Druckern, als Videos und in anderen Formaten. Zum ersten Mal konnte die Nofretete-Büste in ihrem Ursprungsland Ägypten auszustellen. Nora Al-Badri wollte damit ein Zeichen gegen die Folgen des Kolonialismus zeigen: immer noch befinden sich viele archäologische Fundstücke bei den ehemaligen Kolonialmächten statt in den Ländern, wo sie ursprünglich herkommen:
Beitrag von Arte-Tracks zu den Projekten der Künstlerin Nora Al-Badri:
Bürger*innendienst für alle
Der Verein Service Citoyen fordert die Einführung eines komplett neuen Systems in Sachen Dienstpflicht. Geht es nach ihm, so soll das Feld an möglicher Arbeit, welche junge Erwachsene im Rahmen des Milizdienstes verrichten können, geöffnet werden. Nicht nur Militärdienst, Zivilschutz oder Zivildienst sollen zur Auswahl stehen, auch Einsätze, welche zum Beispiel der Umwelt zu Gute kommen, oder das Übernehmen eines politischen Amtes auf kommunaler Ebene sollen einem als Diensttage angerechnet werden können. Dieser neue Bürger*innendienst soll dabei für alle Geschlechter obligatorisch sein.
Christine Badertscher von «Service Citoyen» sieht in einem solchen Arbeitseinsatz auch eine Chance für die Aufwertung der Care-Arbeit. Frauen, welche solche Arbeit unbezahlt übernehmen, könnten entlastet werden, gleichzeitig könnte die im Rahmen des Milizdienstes ausgeübte Care-Arbeit über die Erwerbsersatzabgabe abgerechnet werden.