Menschen, die wählen wollen, aber nicht können und Menschen, die wählen könnten, aber nicht wollen, stehen heute im Fokus unserer Info-Sendung. Ausserdem: Was bedeutet Status F für den Alltag einer Familie? Den Podcast über gibts hier:
Nicht-Wähler*innen an die Urnen!
Derzeit flattern Abstimmungsunterlagen in Schweizer Briefkästen, denn in ziemlich genau drei Wochen finden National- und Ständeratswahlen statt. Rund 48% der stimmberechtigten Personen fanden bei den letzen Wahlen den Weg an die Urne, folglich blieben über die Hälfte der Stimmbürger*innen den Wahlen fern.
Welche Motive haben Nicht-Wähler*innen? Und ist es tatsächlich so, dass Nicht-Wähler*innen in erster Linie der herrschenden Partei dienen, wie Max Frisch in den 1940er-Jahren behauptete? Mit dieser und anderen Fragen setzt sich Marc Bühlmann, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Bern, auseinander.
E-Voting für sehbehinderte Menschen
320 000 Wähler*nnen bleibt die unabhängige Teilnahme an den eidgenössischen Wahlen vom 20. Oktober 2019 verwehrt: Blinden und stark sehbehinderten Menschen. Eine Teilnahme ist für sie nur mit Hilfe einer Assistenzperson möglich. Dies widerspricht dem Bundesgesetz über die politischen Rechte, wonach das Stimmgeheimnis zu wahren ist. Der Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenverband (SBV) hat daher beim Bundesrat interveniert und die rasche Einführung des E-Votings gefordert. Ein Pilotprojekt zur elektronischen Stimmabgabe wurde im Kanton Basel-Stadt bereits durchgeführt und ist aus Sicht der Betroffenen sehr erfolgreich verlaufen. Aufgrund von Sicherheitsmängeln wurde der Pilotversuch jedoch abgebrochen.
Im Juni dieses Jahres entschied der Bundesrat, vorläufig auf die Einführung der elektronischen Stimmabgabe zu verzichten. Der Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenverband drängt nun darauf, eine definitive Lösung zu finden, damit betroffene Bürger*innen nicht länger diskriminiert werden und selbstbestimmt und unabhängig am politischen Geschehen teilhaben können.
Die Stimme der provisorischen Familien
Deeqa Farah kommt aus Somalia in Ostafrika und ist RaBe-Nachbarin am Randweg in der Lorraine. Deeqa Farah ist 35 Jahre alt und hat vier Kinder. Seit acht Jahren leben sie und ihre Familie mit F-Ausweis als vorläufig Aufgenommene in der Schweiz. Eine Arbeit zu finden ist ebenso schwierig, wie mal kurz ins Ausland zu reisen. Geflüchtete mit F-Ausweis dürfen das Land auch für kurze Zeit nur mit Spezialbewilligung verlassen. Solche Hürden gehören zum Alltag von Deeqa Farah, und davon erzählt sie im Radioblog:
Deutsche Übersetzung
Ich bin die Frucht der Familienzusammenführung. Ich bin mit einem Kind in die Schweiz gekommen, heute habe ich vier Kinder. Seit fast 8 Jahren lebe ich hier, habe immer davon geträumt zu reisen, mit meinen Kindern Erinnerungen zu erschaffen. Aber ich kann nicht, weil ich eine provisorische Aufenthaltsbewilligung habe.
Die Kinder, die hier geboren sind, ihre Mütter, die alles tun, um sich zu integrieren, ganze Familien sind verurteilt dazu, die Schweiz nicht verlassen zu können, einzig weil sie nicht den richtigen Ausweis haben.
Hängige Dossiers, Dossiers ohne Entscheidung, ohne die Jahre zu zählen, die vorübergehen, und immer noch vorübergehen.Heute nach acht Jahren in der Schweiz weiss ich nicht, wie ich die Zukunft meiner Kinder gestalten soll. Es bringt nichts, von der Vergangenheit zu sprechen, wenn manchmal die Gegenwart schwierig ist.
Ich habe einen Sohn, der sehr gerne Fussball spielt, der gerne eines Tages Fussballer werden möchte. Und schon heute mit 13 Jahren beginnt er mit seinem Fussball-Club an verschiedene Orte zu reisen. Jedes Mal muss ich bei den Behörden die Bewilligung einfordern, jedes Mal muss ich auf die Antwort warten und kann meinem Sohn nie sagen, ob er wirklich gehen kann oder nicht. Einige Kinderträume können uns Eltern behindern, weil wir ihnen keine klare Antwort geben können.
Wie soll man einem siebenjährigen Kind erklären, dass wir dieses Jahr nicht in die Ferien reisen können, weil wir nicht den richtigen Ausweis haben? Meine Kinder, wenn sie mich fragen, «gehen wir heute in die Ferien», dann sage ich ihnen, «nein, wir haben zuviel zu tun». Ich kann ihnen nicht sagen, «nein, wir haben einen F-Ausweis», weil sie wissen das nicht, sie sind hier geboren.
Die Erde gehört dem Menschen, aber noch viel mehr gehört sie Gott. Alle Menschen sind gleich und sollten nach dem beurteilt werden, was sie sind und wie sie sich integriert haben. Und vielleicht hätte sich heute alles verändern sollen. Ich bin legal in die Schweiz gekommen, im Rahmen der Familienzusammenführung, ich habe die Schweiz gewählt, um meine Kinder aufzuziehen, meinen Mann wiederzufinden und ein schönes Leben zu haben. Heute weiss ich nicht, ob ich morgen in mein Land zurückkehren oder hier bleiben werde.
Seit acht Jahren warte ich auf einen Antwort, seit acht Jahre sehe ich andere Frauen weinen, weil sie nicht wissen, ob das ihr letzter Tag in der Schweiz sein wird, oder ob sie zurückkehren müssen in ihr Land.
All diese Fragen, sie quälen die Mütter, sie verletzen die Väter und sie zerstören Familien.