Der zweite Wahlgang der Berner Ständeratswahlen steht vor der Tür. Am Sonntag, 17. November wählen die Berner*innen ihre Vertretung in der kleinen Kammer des nationalen Parlaments. Vier Kandidat*innen stellen sich zur Wahl: Nationalrätin Regula Rytz von den Grünen, SVP-Nationalrat Werner Salzmann, der amtierende SP-Ständerat Hans Stöckli und FDP-Nationalrätin Christa Markwalder. (Fotos: parlament.ch)
- Regula Rytz, Grüne
- Werner Salzmann, SVP
- Hans Stöckli, SP
- Christa Markwalder, FDP
In einer dreiteiligen Serie befragen wir die Kandidat*innen zu hängigen Initiativen: Die Pflegeinitiative, die Fairpreis-Initiative und die Konzernverantwortungsinitiative (siehe unten). Zudem baten wir sie um eine kurze Stellungnahme zu 6 weiteren Volksinitiativen, die laut Bundeskanzlei aktuell im Parlament hängig sind:
Für ein Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten
JA: Regula Rytz, Hans Stöckli, NEIN: Werner Salzmann, Christa Markwalder
Für eine massvolle Zuwanderung (Begrenzungsinitiative)
JA: Werner Salzmann, NEIN: Regula Rytz, Hans Stöckli, Christa Markwalder
Ja zum Verhüllungsverbot
JA: Werner Salzmann, NEIN: Regula Rytz, Christa Markwalder, Hans Stöckli
Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide
Regula Rytz: „Ja, falls es keinen Gegenvorschlag gibt“, Werner Salzmann: „Nein, gefährdet Eigenversorgung“, Hans Stöckli: „Jein, bin für Gegenvorschlag“, Christa Markwalder: „Nein, aber Ja zum Gegenvorschlag“
Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung
Regula Rytz: „Ja, falls es keinen Gegenvorschlag gibt“, Werner Salzmann: „Nein, gefährdet Überleben von Bergbauern“, Hans Stöckli: „Jein, bin für Gegenvorschlag“, Christa Markwalder: „Nein, aber Ja zum Gegenvorschlag“
Für mehr Transparenz in der Politikfinanzierung
JA: Regula Rytz, Hans Stöckli, NEIN: Werner Salzmann, Christa Markwalder
Pflegeinitiative
Lanciert hat die Volksinitiative für eine starke Pflege der Schweizer Verband der Pflegefachleute SBK. Darin fordert der Verband unter anderem, dass der Pflegeberuf besser anerkannt wird, so dass genügend Personal ausgebildet wird und dann auch im Beruf bleibt. Zudem fordert er bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne in der Pflege. In Rekordzeit waren die benötigten Unterschriften für die Initiative beisammen. Zumindest in der Bevölkerung geniesst der Forderungskatalog der Pflegefachleute also viel Rückhalt. Aber auch in der Politik stösst das Anliegen vielerorts grundsätzlich auf Verständnis.
Laut Statistik steige die Zahl der über 65-Jährigen in den nächsten 30 Jahren auf fast 3 Millionen. Die Schweiz renne in einen Pflegenotstand hinein, konstatiert die Grüne Regula Rytz, weshalb der Beruf dringend aufgewertet und die Arbeitsbedingungen verbessert werden müssten. Auch Christa Markwalder von der FDP sieht Handlungsbedarf. Die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals müssten verbessert werden. Markwalder sträubt sich jedoch dagegen, die Rahmenbedingungen für einen einzigen Beruf explizit in der Verfassung zu verankern. Sie will den Weg über die Änderung der gesetzlichen Bestimmungen weiterverfolgen, den der Bundesrat eingeschlagen hat. Ein indirekter Gegenvorschlag zur Pflegeinitative aus der Feder der nationalrätlichen Gesundheitskommission liegt bereits auf dem Tisch. Dieser Vorschlag behandle aktuell jedoch fast ausschliesslich die Ausbildung. Damit die Initiant*innen die Pflegeinitative zurückziehen, müsse man ihnen noch stark entgegenkommen, mahnt Regula Rytz.
Werner Salzmann von der SVP hat Verständnis für die teils schwierige Situation in der Pflege, zeigt sich aber skeptisch bezüglich den Forderungen der Initiative. Salzmann befürchtet, dass bei einer Annahme der Initiative die Gesundheitskosten weiter ansteigen. Die Schätzungen des Krankenkassenverbandes Santésuisse halte der Bundesrat für realistisch. Demnach würden im Bereich der Pflegeheime pro Jahr Mehrkosten von 30 Millionen Franken entstehen. Auch bei der Spitex rechne man mit Mehrkosten von 25 – 110 Millionen Franken und der Bundeshaushalt würde mit 10 Millionen Franken zusätzlich belastet. Salzmann wehrt sich insbesondere gegen die Forderung, dass das Pflegefachpersonal künftig Grundpflegeleistungen ohne ärztliche Anordnung auf Kosten der Krankenkassen durchführen dürften. Hans Stöckli ist im Gegenteil davon überzeugt, dass dies die Gesundheitskosten senken würde, weil Leistungen dann vermehrt günstiger vom Pflegepersonal abgerechnet würden statt von teuren Ärtz*innen. Der Bund habe bereits zugesagt, gewisse Mehrhkosten zu akzeptieren. Nun gehe es darum, einen guten Kompromiss zu finden, der den Initiant*innen erlaube, die Pflegeinitiative zurückzuziehen. In der Dezembersession beugt sich der frisch gewählte Nationalrat über den indirekten Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative. Tritt er darauf ein, geht die Vorlage an den Ständerat.
Fairpreis-Initiative
Die Fairpreis-Initiative sagt der Hochpreisinsel Schweiz den Kampf an. Lanciert hat sie ein ziemlich unkonventionelles Bündnis aus der Stiftung für Konsumentenschutz, dem Hotellerie- und Gastronomieverband Gastrosuisse und dem Verband Swissmechanic von rund 1400 KMUs der Maschinen-, Elektro- und Metallbranche. Die Preise ist der Schweiz sind im europäischen Vergleich tatsächlich sehr hoch. Im Jahre 2016 lagen die Schweizer Lebensmittelpreise ganze 73 % über dem europäischen Durchschnitt.
Alle Berner Ständeratskandidat*innen sind sich grundsätzlich einig, dass es Massnahmen gegen die Hochpreisinsel Schweiz braucht. Die Initative aber geht ihnen zu weit. Sie alle plädieren stattdessen dafür, weiter am indirekten Gegenvorschlag zu feilen, welcher das Kartellgesetz verschärfen will, um so die hohen Preise von Importprodukten ins Visier zu nehmen.
Regula Rytz, Ständeratskandidatin der Grünen spricht von einem Dilemma zwischen den tiefen Preisen im Ausland und den hohen Löhnen in der Schweiz. Es sei noch unklar, ob der Lohndruck durch die Initiative ansteige oder gar Arbeitsplätze vernichtet würden, weil bei einer Annahme der Initiative nur noch Waren und Dienstleistungen importiert statt hier produziert würden. Obwohl FDP und SVP sowohl die Initiative als auch den indirekten Gegenvorschlag ablehnen, weil sie den Wettbewerb einschränken und Preiskontrollen einführen, zeigen sich die Ständeratskandidat*innen Christa Markwalder und Werner Salzmann kompromissbereit. Mit dem Gegenvorschlag zielt der Bundesrat gegen die Abschottung des Schweizer Marktes, indem internationale Unternehmen dazu verpflichtet würden, Firmen in der Schweiz auch direkt über ausländische Kanäle zu beliefern. Salzmann pocht indes darauf, die Landwirtschaft zu schützen. Laut Christa Markwalder ist ein funktionierender Wettbewerb für eine gesunde Wirtschaft sinnvoll. Man müsse aber im Auge behalten, dass hierzulande sehr viel höhere Löhne bezahlt würden als im Ausland.
Der umstrittenste Punkt in der Debatte um die Fairpreis-Initiative ist das geforderte Verbot von Geoblocking, welches dem Online-Handel ermöglicht in reicheren Ländern gezielt höhere Preise zu verlangen. Hans Stöckli, Ständeratskandidat der SP spricht sich klar für ein Verbot aus. Auch Christa Markwalder befürwortet das Verbot, bleibt aber skeptisch, ob es ohne Staatsverträge durchsetzbar ist. Für das Komitee der Fairpreis-Initiative hingegen ist klar: Falls der indirekte Gegenvorschlag den Onlinebereich ausklammert, werden sie an der Fairpreis-Initiative festhalten.
Konzernverantwortungsinitiative
Die Konzernverantwortungsinitiative will international tätige Schweizer Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen. Die Unternehmen und ihre Tochterfirmen sollen auch im Ausland Menschenrechte und Umweltstandards respektieren. Sie sollen zu einer Sorgfaltsprüfung verpflichtet werden und bei Verstössen auch ihrer Tochterfirmen haften.
Werner Salzmann, Ständeratskandidat der SVP kann der Initiative überhaupt nichts abgewinnen. Die Mehrheit der Schweizer Firmen seien sich ihrer gesellschaftlichen und ökologischen Verantwortung bewusst. Sie unter Generalverdacht zu stellen, sei falsch. Zudem trügen sie zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Verminderung von Armut in den Entwicklungsländern bei. Sowohl die Initiative als auch der Gegenvorschlag schwäche die Unternehmen und erhöhe die Gefahr, dass die Firmen abwandern. Auch FDP-Ständeratskandidatin Christa Markwalder ist der Meinung, die Initiative gehe zu weit. Dass Schweizer Konzerne Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland einhalten sollen, sei für sie eine Selbstverständlichkeit. Viele Unternehmen hätten eigene Leitbilder und Corporate Responsibility-Programme. Zudem stört Markwalder die relativ weit gefasste Haftungsklausel. Um eine Abstimmung über die Initative zu verhindern, unterstützt sie jedoch den nationalrätlichen Gegenvorschlag, den auch die Initiant*innen akzeptiert und ihre Initiative wohl zurückgezogen hätten.
Ein taktisches Manöver verhinderte jedoch kurz vor den Wahlen die Debatte im Ständerat über den Gegenvorschlag, weil FDP-Bundesrätin Karin Keller-Suter im letzten Moment nochmals einen neuen, stark abgeschwächten Vorschlag ins Spiel brachte und so der bürgerlichen Ständeratsmehrheit ermöglichte, den nationalrätlichen Gegenvorschlag nochmals an die Kommission zurückzuweisen. Was jetzt passiert, sei also wieder völlig offen, nervt sich SP-Ständeratskandidat Hans Stöckli. Er unterstützt die Anliegen der Initiant*innen und hofft, dass der Gegenvorschlag nicht noch stärker verwässert werde, so dass es dann doch noch zur Abstimmung komme. Falls der Kompromissvorschlag scheitere und die Initiative zur Abstimmung komme, werde sie sie unterstützen, so Regula Rytz von den Grünen. Das Parlament hat noch bis April 2020 Zeit sich zu einigen.