In der heutigen Infosendung berichten wir zunächst über das frisch lancierte Referendum gegen die geplanten Milliarden-Ausgaben für neue Militärflugzeuge und fragen nach, wie denn die Zukunft der Schweizer Luftwaffe eigentlich aussehen soll.
Dann sprechen wir mit der Flüchtlingsorganisation solidarité sans frontières über einen kürzlich getroffenen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts, der besagt, dass die Schweiz künftig keine asylsuchenden Familien mehr nach Italien zurückschaffen darf.
Und wir werfen einen Blick auf den neuen Dokumentarfilm «Midnight Family», der den beschwerlichen und moralisch fragwürdigen Kampf um Unfallopfer in Mexico City dokumentiert.
Podcast der ganzen Sendung:
Referendum gegen Kampfjet-Milliarden lanciert
2014 haben die Schweizer Stimmbürger*innen Nein gesagt zu Ausgaben in der Höhe von 3 Milliarden Franken für Gripen Flugzeuge. Doch das Thema war damit noch lange nicht vom Tisch: Immer wieder diskutierten Parlament und Regierung über die Zukunft der Schweizer Luftwaffe. Im vergangenen Dezember hiess der Nationalrat dann einen Planungsbeschluss des Bundesrates gut, sechs Milliarden Franken soll dieser ausgeben dürfen für neue Kampfjets. Welche und wie viele Flugzeuge eingekauft werden sollen, ist indes noch nicht klar. Diesen Entscheid wird dem VBS und dem Bundesamt für Rüstung armasuisse überlassen.
Gestern hat nun ein Komitee, bestehend aus SP, Grünen, GSoA und diversen Friedensorganisationen das Referendum ergriffen gegen diesen Kostenrahmen von 6 Milliarden Franken.
Während der Pressekonferenz im Medienzentrum des Bundeshauses kritisiert Lewin Lempert, Sekretär der GsoA: «Kampfjets im Wert von sechs Milliarden Franken – das wäre wie wenn die Polizei mit Lamborghinis Streife fahren würde». Geld, welches hier ausgegeben werde, fehle dann an anderen Orten, zum Beispiel im Kampf gegen den Klimawandel. Ausserdem kämen zu den sechs Milliarden Anschaffungskosten noch weitere 18 Milliarden Franken für Instandhaltung, Treibstoff und Nachrüstung hinzu. Priska Seiler Graf, SP-Nationalrätin und Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission ergänzt, dass die meisten Aufgaben des Luftpolizeidienstes von leichten, billigeren Kampfflugzeugen ausgeführt werden können und für die wenigen sogenannten «Hot Missions» die bestehende F/A-18-Flotte ausreiche.
Das Komitee hat nun 100 Tage Zeit um 50’000 Unterschriften zu sammeln. Die Referendumsabstimmung findet voraussichtlich am 27. September dieses Jahres statt.
Rückschaffungsstopp nach Italien
Die Schweiz darf keine asylsuchenden Familien mehr nach Italien zurückschaffen. Dies entschied kürzlich das Bundesverwaltungsgericht. Einmal mehr widersetzt sich das Gericht der europäischen Dublin-Verordnung, welche besagt, dass Asylsuchende in die europäischen Erstaufnahmeländer zurückgeschafft werden können. Auslöser des Entscheides war eine Beschwerde einer nigerianischen Familie, welche von den italienischen Behörden erfahren hatte, sie werde im Falle einer Rückschaffung einige ihrer Kinder fremdplatzieren. Auf der Grundlage einer Analyse der aktuellen Aufnahmebedingungen von Ende September kommt das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, dass eine angemessene Unterbringung in Italien nicht mehr garantiert werden kann.
Mit ein Grund ist das so genannte Salvini-Dekret. Ende 2018 schloss der ehemalige Innenminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega Nord die kommunalen Asylzentren, welche eigentlich für besonders verletzliche Gruppen, wie Familien und kranke Personen reserviert waren, in der Praxis jedoch allen Asylsuchenden offen standen. Seit Ende 2018 nun stehen diese Zentren nur noch unbegleiteten Minderjährigen offen. Weil die Strukturen für alle anderen Asylsuchenden kaum ausreichen, kommen viele entweder in grössere Kollektiv- oder Notaufnahmezentren oder aber landen auf der Strasse. Sie haben kaum Zugang zu medizinischer Versorgung und psychologischer Betreuung.
Amanda Ioset, Geschäftsführerin der Flüchtlingsorganisation solidarité sans frontières begrüsst den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichtes grundsätzlich. Sie merkt aber an, dass er erstens zu spät komme und zweitens einen Ausschaffungsstopp aller Asylsuchenden nach Italien beinhalten sollte.
Midnight Family – Der fragwürdige Kampf um Unfallopfer in Mexico City
Wer in der Schweiz an eine Unfallstelle gelangt und verletzte Menschen sieht, wählt die Nummer 144 – die Nummer der Ambulanz. Meistens dauert es nicht lange, bis eines der gelb-roten Fahrzeuge angebraust kommt und die Verletzten ins Spital bringt. In Mexico City läuft alles ein bisschen anders. Für die rund 9 Millionen Einwohner*innen der Stadt stehen gerade mal 45 staatliche Ambulanzfahrzeuge sind im Einsatz. In die Bresche springen Private, so wie die Familie Ochoa.
Der US-amerikanische Filmemacher Luke Lorentzen hat die Ochoas drei Jahre lang mit seiner Kamera begleitet. Sein Dokumentarfilm Midnight Family zeigt, wie Vater Ochoa und seine beiden Söhnen Nacht für Nacht mit ihrem Ambulanzwagen die Strassen Mexico Citys abfahren. Sie hören den Polizeifunk ab, sobald irgendwo ein Unfall gemeldet wird, geht das grosse Rennen los, denn die Ochoas sind nicht die einzigen, die eine private Ambulanz betreiben.
Lorentzen ist mit seiner Kamera hautnah am Geschehen dabei und beschönigt nichts. Wir sehen den Ochoas dabei zu, wie sie zu Unfallstellen rasen und quasi um Patienten kämpfen. Wir sehen ihnen dabei zu, wie sie Schwerverletzte ins Spital transportieren, wo sie manchmal trotz rasanter Fahrt zu spät ankommen.
«Midnight Family» ist ein intimer und beklemmender Film. Dies, weil die Ochoas einem zwar sympathisch sind, ihr Tun aber moralisch fragwürdig ist. Klar doch: Die Konkurrenz ist gross und ausserdem müssen korrupte Polizeibeamte bezahlt und bestochen werden. Das Familienunternehmen muss also auf Unfälle hoffen, um das eigene Überleben zu sichern. Dabei können die Ochoas nie sicher sein, ob ihr Einsatz denn auch wirklich bezahlt wird. Viele ihrer Patienten haben kein Geld, oder wollen keins haben.
«Midnight Family» ist einer derjenigen Dokumentarfilme, die deutlich machen, dass kein Spielfilm so spannend sein kann wie die Realität – ein filmisch bestechender Höllenritt in fiebrigen Bildern durch die Strassen Mexico Citys.
«Midnight Family», Kellerkino Bern, 9. – 15. Januar 2020, jeweils 20:30 Uhr