Roland Reichen arbeitet hauptsächlich als Germanist an der Universität Bern, wo er sich mit Texten von Jeremias Gotthelf beschäftigt. Der 46-Jährige ist aber auch als Schriftsteller tätig; nach Aufgrochsen (2006) und Sundergrund (2014) ist soeben sein drittes Buch Auf der Strecki erschienen. Was sich darin abspielt, hat so gar nichts mit heiler Gotthelf-Welt zu tun, sondern ist vielmehr ein Stück Anti-Heimatliteratur.
Hörprobe Auf der Strecki gelesen von Roland Reichen:
Er wolle der Leserschaft einen Einblick in das Leben von Leuten gewähren, die in der Schweiz am Rande der Gesellschaft lebten, sei es aufgrund von Armut, Suchtproblemen oder psychischen Problemen, sagt Reichen. Entsprechend montierter er in Auf der Strecki verschiedene Erzählstränge parallel, wobei deren Protagonist*innen tatsächlich alle irgendwie versehrt und auf der Strecke geblieben sind. Viele der Episoden basierten auf wahren Begebenheiten, die sich in seinem engeren oder weitern Umfeld ereignet hätten.
Da wäre etwa der Filterli-Junky Serge, der seine Freundin auf den Drogenstrich begleitet, obwohl dieser nach einer Operation im Inselspital Schläuche aus dem Hals ragen. Oder da ist Sami, der als Baby von der Wickelkommode fiel und dessen Eltern ihm auch im 25. Lebensjahr immer noch das Sackgeld rationieren. Oder da ist das Müeti, das wegen psychischen Problemen in die «Geschlossene» muss.
Reichens Text strotzt vor Dialekteinschüben, so dass sich am Ende von «Auf der Strecki» ganze 16 Seiten Glossar finden. Die Sprache holpert, scheppert und verstösst gegen die Normen der Standardsprache, genau so, wie auch die Protagonist*innen des Buches gegen gesellschaftliche Normen verstossen. Daneben sorgt die lädierte Sprache auch für eine gewisse komische Distanz, um die man froh ist,wenn das Treiben der Figuren dann doch gar zu aberwitzig und abgründig wird.
Roland Reichen im Interview mit RaBe:
Wir haben hier über Reichens letztes Projekt berichtet: Das Fotobuch «Druffä»