Heute im Info geht es um den Hariri-Prozess und warum er den Frieden im Libanon erneut auf eine harte Probe stellt. Im kulturellen Teil der Sendung schauen wir zurück auf das bewegte Leben von Christoph Schlingensief, seit gestern läuft der Film „in das Schweigen hineinschreien“ über den politischen Künstler in den Schweizer Kinos.
Den Podcast gibt’s hier:
Krise im Libanon – Urteil im Hariri-Prozess
Eine Krise nach der anderen schüttelt derzeit den Libanon: Auf die seit Monaten anhaltenden Massenproteste gegen die korrupte Machtelite und die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten folgte die Corona-Krise. Am 4. August 2020 erschütterte die durch die Regierung mitverantwortete Explosionskatastrophe im Hafen der Hauptstadt Beirut das Land, worauf die Regierung eine Woche später schliesslich zurücktrat.
Mitten in diese Krise an allen Fronten platzt nun zusätzlich noch das lang erwartete Urteil des UN-Sondertribunals im emotionsgeladenen Hariri-Prozess. Im Jahre 2005 wurde der ehemalige libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri zusammen mit 22 weiteren Personen durch einen Selbstmordanschlag getötet. Ein UN-Sondertribunal nahm Ermittlungen auf, eröffnete 2014 den Prozess und wollte vergangene Woche nun das Urteil verkünden. Aufgrund der verheerenden Explosion in Beirut jedoch vertagte das Tribunal die Urteilsverkündung auf morgen Dienstag, den 18. August 2020.
Angeklagt im Hariri-Prozess sind auch mutmassliche Attentäter der shiitischen Hisbollah, deren
bewaffnete Miliz vor allem den Süden des Landes kontrolliert und die als Partei auch im Parlament vertreten ist. Die Hisbollah ist im Libanon ebenso mächtig wie umstritten. Laut Bente Scheller, Libanon-Expertin bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin hat die Urteilsverkündung im Hariri-Prozess deshalb durchaus das Potential, in der derzeit sowieso schon höchst aufgeladenen Stimmung zu einer weiteren Eskalation der brenzligen Situation beizutragen und die Fronten weiter zu verschärfen.
Die Gefahr eines neu aufflammenden Bürgerkrieges, von welcher derzeit vielerorts die Rede ist, schätzt Scheller dennoch als gering ein. Dies, weil sich die Protestbewegung gegen sämtliche Machthaber*innen und Parteien stelle, weil sie sehr wohl wisse, dass alle ihren Teil zur Krise beigetragen haben.
Einziger Ausweg aus der Krisensituation im Libanon verortet Bente Scheller in einer Technokrat*innen-Regierung, welche mit den bisherigen Machthabenden radikal bricht und tiefgreifende strukturelle Veränderungen umsetzen würde. An potentiellen Expert*innen mangle es dem Libanon nicht. Das Problem sei vielmehr, dass die herrschende Elite keinerlei Interesse habe, von ihren gewachsenen Pfründen etwas abzugeben.
Libanon-Expertin Bente Scheller im Gespräch mit RaBe:
„In das Schweigen hineinschreien“ – Das Leben von Christoph Schlingensief
Die Filme und Theaterstücke des Christoph Schlingensief polarisierten. Die einen sahen in ihm einen pubertären Provokateuren, die anderen einen genialen Film- und Theaterschaffender. 60 Jahre alt wäre er dieses Jahr geworden, wäre Schlingensief nicht im August 2010 viel zu früh aus dem Leben geschieden.
Zu seinem 10. Todestag hat Filmemacherin Bettina Böhler Christoph Schlingensief ein filmisches Porträt gewidmet. «Schlingensief – in das Schweigen hineinschreien», so der Titel der rund zweistündigen Dokumentation, ist ein intensiver Film geworden, in dem sich Böhler dem Ausnahmetalent zu nähern versucht. Dafür verwebt sie frühe Familienaufnahmen, Ausschnitte aus TV-Interviews und Talkshows, Aufnahmen von Theateraufzeichnungen, Performances und Fensehproduktionen und natürlich Ausschnitte aus Schlingensiefs eigenen Filme zu einem kaleidoskopartigen Ganzen.
Böhlers Film zeigt: Schlingensief war zeitlebens ein politischer Künstler und eine unbequeme Stimme. Provokativ und emotional hielt er in seiner Kunst der Gesellschaft den Spiegel vor und sorgte immer wieder für heftige Reaktionen beim Publikum. So etwa, als er Menschen mit geistiger Behinderung in einer TV-Show namens «Freakstars 3000» auftreten liess, die «Partei der Arbeitslosen und von der Gesellschaft Ausgegrenzten» gründete, im Rahmen eines Resozialisierungsprogramms eine Gruppe Neonazis in einem seiner Stücke einsetzte oder in Zürich die SVP verbieten wollte.
Als Schlingensief 2010 im Alter von gerade mal 49 Jahren aus dem Leben schied, ging mit ihm eine wichtige Stimme, die provokativ, emotional aber immer auch humorvoll und charismatisch herrschende Verhältnisse anprangert und den kulturellen und politischen Diskurs im deutschsprachigen Raum mitprägt hatte. Mit ihrem Dokumentarfilm hat Bettina Böhler dieser Stimme eine berührende Hommage beschert.
Der Beitrag zum Film:
«Schlingensief – in das Schweigen hineinschreien» ab 16.8. in den Kinos. Am 20.8. im Kino Rex Bern inklusive Gespräch mit Cihan Inan (Schauspieldirektor Konzerttheater Bern) und Dr. Beate Schappach, Institut für Theaterwissenschaft, Universität Bern