Annemarie Schwarzenbach war nicht nur eine faszinierende Persönlichkeit voller Widersprüche, sondern auch eine Pionierin. 1908 in Zürich geboren wandte sie sich aufgrund Widerstände gegen ihre sexuelle Orientierung früh von der eignen Familie ab und begann Kontakte zu pflegen zur deutschen Literaturszene. Darunter war auch Erika Mann, welche die grosse Lieber der Annemarie Schwarzenbach werden sollte.
Erika Mann ist denn auch auf einigen der rund 200 Fotografien abgebildet, welche derzeit im Zentrum Paul Klee zu sehen sind. Schwarzenbach war nämlich nicht nur eine begnadete Schriftstellerin und Journalistin, sondern auch eine herausragende Fotografin. Nebst Porträts zeigt die Ausstellung «Aufbruch ohne Ziel» unter anderem auch Bilder, die den Aufstieg des Nationalsozialismus zeigen oder den Aufbau moderner Städte im nahen Osten dokumentieren. Zudem werden eine ganze Reihe Reportagefotografien ausgestellt, die im ZPK in direkten Zusammenhang gestellt werden mit Schwarzenbachs Texten. Die junge Frau gehörte zu den ersten Reportagejournalistinnen, die sich in der Schweiz beruflich ein Einkommen sichern konnten. Mit Schreibblock und Kamera bereiste sie in den 1930er-Jahren beispielsweise die USA, den Iran oder Afghanistan und wurde so zur Pionierin eines Genres, das damals noch in den Kinderschuhen steckte.

Hafen von Massawa, Italienisch-Ostafrika (heute Eritrea) 1939–1940 Schweizerisches Literaturarchiv | Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Nachlass Annemarie Schwarzenbach
Die dokumentarischen Fotografien der Annemarie Schwarzenbach sind poetische Kunstwerke und gleichzeitig ausdrucksstarke und sozialkritische Zeitzeugnisse, welche Umbrüche und Konflikte der damaligen Zeit einfangen. So fotografiert sie in Amerika beispielsweise nicht die glamouröse Welt New Yorks, sondern richtet ihren Blick auf die Verlierer*innen eines Landes, das von Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Armut und Rassismus geprägt ist.
Auch Schwarzenbachs eigenes Leben war voller Brüche. «Unglaublich kompliziert, abenteuerlich, tragisch und kurz», sei es gewesen, sagt Martin Waldmeier, Kurator der Ausstellung «Aufbruch ohne Ziel». Tatsächlich hatte Schwarzenbach zeitlebens mit der Ablehnung ihrer Familie und Suchtproblemen zu kämpfen und starb gerade mal 34-jährig an den Folgen eines Fahrradunfalles. «Bei dieser abenteuerlichen Lebensgeschichte droht ihr künstlerisches Schaffen manchmal etwas ins Hintertreffen zu geraten», sagt Waldmeier. «Dem wollen wir mit unserer Ausstellung entgegenwirken.»
Das Interview mit Kurator Martin Waldmeier:
«Aufbruch ohne Ziel – Annemarie Schwarzenbach als Fotografin», Zentrum Paul Klee, 17.9.20 – 3.1.21

Entgleister Bahnwaggon bei Mbanza Ngungu (Thysville), Belgisch-Kongo (heute Demokratische Republik Kongo) 1941–1942 Schweizerisches Literaturarchiv | Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Nachlass Annemarie Schwarzenbach