Heute im Info: Konsequenzen der Asyl-Schnellverfahren für die Gesuchsstellenden, der Film «Beyto» der Zürcher Filmemacherin Gitta Gsell und eine weitere Folge unserer Serie «Unorte» zu den Stadtratswahlen.
Harsche Kritik an den neuen Asyl-Schnellverfahren
Laut einer kürzlich veröffentlichen Analyse des «Bündnisses unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich» bringen die neuen Asylverfahren eine riesige Fehlerquote mit sich. Nach eingehender Prüfung von Statistiken des Staatssekretariates für Migration SEM, von Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts und Fällen aus der unabhängigen Rechtsberatung kommt das Bündnis zum Schluss: Das Staatssekretariat für Migration SEM lehnt jedes fünfte Asylgesuch zu Unrecht ab, was einer Fehlerquote von sage und schreibe 20% entspricht. Die Wochenzeitung WOZ spricht in diesem Zusammenhang von «amtlich bewilligter Pfuscherei».
Seit im März 2019 das neue Asylgesetz in Kraft trat, gibt es zwei Arten von Asylverfahren. Neben dem erweiterten Verfahren, im Rahmen dessen die Behörden die Asylgründe nach wie vor vertieft abklären, gibt es das neue, umstrittene beschleunigte Verfahren, im Rahmen dessen Asylentscheide innert nur rund drei Monaten fallen sollen. Aus zeitlichen Gründen wurden hier auch die Rekursfristen auf sieben Arbeitstage gekürzt. Um diese extrem kurzen Rekursfristen aufzufangen, haben laut Gesetz alle Asylsuchende neu Anspruch auf eine amtliche Rechtsvertretung, sprich jemanden, der ihre Gesuche anschaut und allenfalls Beschwerde gegen einen Negativentscheid einreicht.
Da diese amtlichen Rechtsvertretungen jedoch unter starkem Zeitdruck stehen, legen sie ihr Mandat laut Analyse oft vorschnell nieder, wenn sie den Fall als aussichtslos erachten. Wie Matthias Rysler, Leiter der Anlaufstelle für Asylsuchende vom Solidaritätsnetz Bern betont, springen daher immer öfters unabhängige Rechtsberatungsstellen in die Bresche. Problematisch sei dies nicht nur, weil viele Asylsuchende den Kontakt zu ihnen oft nicht rechtzeitig herstellen könnten, sondern auch, weil es für die unabhängigen Rechtsberatungsstellen einen enormen Druck bedeute, neue Fälle innert 7 Arbeitstagen eingehend zu prüfen und eine fundierte Beschwerde einzureichen.
Seit das neue Asylgesetz in Kraft ist, hat das Bundesverwaltungsgericht das Staatsekretariat für Migration SEM bereits mehrmals gerügt. Unter anderem, weil das SEM komplexere Fälle oft zu Unrecht im beschleunigten Verfahren abhandle, oder weil das SEM notwendige medizinische Abklärungen oftmals unterlasse. Trotzdem arbeite das SEM weiter wie gehabt, kritisiert Matthias Rysler.
Um die wachsende Nachfrage bei den unabhängigen Rechtsberatungsstellen auffangen zu können, plant die Anlaufstelle für Asylsuchende vom Solidaritätsnetz Bern eine zweite Teilzeitstelle zu schaffen. Finanziert werden soll diese via Crowdfunding mit Mitteln aus der Zivilgesellschaft.
Beyto – schwule türkische Liebe
Vor rund zwei Wochen ging das Film Festival Zürich zu Ende. Unter anderem feierte dort «Beyto» Première, der neue Film der Zürcher Regisseurin Gitta Gsell.
Während die 67-jährige Regisseurin in der Wahl ihrer früheren Themen oftmals eine Affinität zu Tanz und Musik verriet, widmet sich Gitta Gsell in ihrem neusten filmischen Werk einem gänzlich anderen Thema. Beyto (Burak Ates) ist ein talentierter junger Schwimmer, Sohn türkischer Einwanderer und schwul. Als er sich in seinen Schwimmtrainer Mike (Dimitri Stapfer) verliebt, sehen seine Eltern nur eine Lösung, um die Ehre der Familie zu wahren: Sie locken ihren Sohn in ihr türkisches Heimatdorf und verheiraten ihn mit einer Freundin aus Kindheitstagen. Plötzlich befindet sich Beyto in einer zerreissenden Dreiecksbeziehung.
Beyto basiert auf der Romanvorlage «Hochzeitsflug» von Yusuf Yesilöz. In der Hauptrolle von Gitta Gsells filmischer Adaption agiert der Laiendarsteller Burak Ates. Es sei schwierig gewesen, die Rolle des Beyto zu besetzen, sagt Gsell. Zum einen habe sich kein so junger Schauspieler finden lassen, der sowohl Türkisch als auch Schweizerdeutsch spreche. «Zum anderen wurde beim Casting schnell klar, dass viele der jungen Männer keinen Homosexuellen spielen wollen», sagt Gsell. Dies nicht aus dem Grund, dass sie selber ein Problem damit hätten, sondern weil sie Reaktionen aus dem familiären Umfeld fürchteten, denn in der türkischen Kultur ist Homophobie nachwievor omnipräsent.
Sie wolle mit ihrem Film keinesfalls eine Kultur brandmarken, betont Gitta Gsell. Vielmehr gehe es ihr darum zu zeigen, dass alle an dieser Geschichte Beteiligten unter Zugangszwang ständen: Allen voran Beyto, aber auch seine Eltern, welche mit der Zeit zwar die Gefühle ihres Sohnes zu verstehen beginnen, aber eben ihrerseits unter dem Druck der Verwandtschaft und des kulturellen Umfeldes stehen. «Es ist ein Teufelskreis, und zwar für alle.»
Das ganze Interview mit Gitta Gsell gibt’s hier:
Am 20.10. findet im Kino Rex die Vorpremiere von «Beyto» in Anwesenheit der Berner Produzenten, der Regisseurin und der Hauptdarsteller statt. Ab dem 29. Oktober läuft der Film in Deutschweizer Kinos.
Unort Bern: Mit Monique von Graffenried-Albrecht (FDP) am Helvetiaplatz
Am 29. November wählen die Berner Stimmbürger*innen ein neues Parlament. Für den Stadtrat kandidieren insgesamt 532 Personen auf 19 unterschiedlichen Listen für 80 Sitze. Im Rahmen unserer diesjährigen Wahlserie stellen wir bis am 6. November jeden Tag eine Stadtratskandidatin oder einen Stadtratskandidaten vor. Dabei lassen wir alle 15 Parteien, die bereits im Stadtrat vertreten sind, zu Wort kommen. Die Kandidierenden führen uns zu einem Ort in der Stadt Bern, an welchem sie einen Missstand zu beklagen haben – Ein «Unort» sozusagen.
Der Unort von Monique von Graffenried-Albrecht ist der Helvetiaplatz. «Wir haben hier eine ungute Situation und Konflikte in verkehrstechnischer Hinsicht». Die FDP-Kandidatin ist oft mit dem Velo unterwegs, neben Verkehrspolitik sind ihr aber auch gute Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Gewerbe ein Anliegen. «Es muss interessant sein, in der Stadt Bern ein Geschäft aufzubauen und zu führen», erklärt sie im Interview mir RaBe.