In der heutigen Infosendung sprechen wir darüber, warum Polizeigewalt selten zur Anzeige gelangt. Und ausserdem feiern wir eine junge rebellische Dame, die seit 75 Jahren ungebremst durch Kinderzimmer galoppiert: Pipi Langstrumpf. Den Podcast zur Sendung gibst hier:
«Cops Culture» – Schweigen bei der Polizei
Zwei Jahre ist es her, seit Killian S. in Polizeigewahrsam in der Stadt Bern verstarb. Er stand unter starkem Drogeneinfluss, wurde aber ärztlich als hafttauglich eingestuft und starb daraufhin in der Überwachungszelle. Man würde meinen, dass die Staatsanwaltschaft ein grosses Interesse daran hat, diesen Fall lupenrein aufzuklären – schliesslich ist eine Person unter Aufsicht des Staates gestorben. Der Wille zur Aufklärung hält sich aber in Grenzen, wie Brigitte Hürlimann, Juristin und Journalistin beim Online-Magazine Republik, feststellt. Die Berner Staatsanwaltschaft habe zwar einige wenige Untersuchungen getätigt, sei aber bald zum Schluss gekommen, dass es keine Hinweise auf ein strafbares Verhalten des verantwortlichen Arztes gebe. «Das ist das Auffallende und die Gemeinsamkeit verschiedener Fälle, die bekannt geworden sind: dass die Staatsanwaltschaft auch bei massiv schlimmen Fällen nicht bereit ist, eine grundsätzlich ordentliche Untersuchung durchzuführen», sagt Hürlimann.
Beim tragischen Fall Killian S. handelt es sich also nicht um einen Einzelfall. Es gibt mehrere Fälle in der Schweiz, bei denen die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen gegen Polizeibeamte eingeleitet hat. Polizeiarbeit ist in der Schweiz somit schwer überprüfbar. «Sowohl die Polizei wie auch die Staatsanwalt sind Strafverfolger. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft arbeiten Hand in Hand. Da gibt es sehr viel Vorverständnis für die Arbeit der jeweils anderen Person.» Deswegen stelle sich die Frage, ob die Staatsanwaltschaft überhaupt genügend unabhängig sei, um mutmassliche Polizeigewalt und Übergriffe zu verfolgen, so Hürlimann.
Verschiedene Juristen und Rechtsprofessorinnen fordern deswegen eine nationale unabhängige Untersuchungsstelle für Polizeiangelegenheiten. Strafverfolgung ist in der Schweiz aber Sache der Kantone; die kantonalen Staatsanwaltschaften beanspruchen für sich, dass sie Fälle von Polizeigewalt unabhängig und seriös aufzuarbeiten. Eine solche nationale Instanz wäre der Bruch eines altes Systems – und damit täte man sich in der Schweiz ja bekanntlich schwer, meint Hürlimann.
Neben der Nähe von Staatanwaltschaften und Polizei erschwert es aber auch der sogenannte Korpsgeist innerhalb der Polizeistrukturen, polizeiliches Fehlverhalten zu untersuchen. «Es gibt das Phänomen, das sich Polizistinnen und Polizisten gegenseitig schützen und sich schwertun, das Verhalten von Kolleginnen und Kollegen anzuzeigen», sagt Hürlimann und spricht von einer Kultur des Schweigens.
Das Problem ist, dass bei Polizeieinsätzen mit Gewalteinsatz häufig Aussage gegen Aussage steht, weil es einerseits keine Beweise gibt und andererseits Polizist*innen sich gegenseitig schützen. Der Einsatz von Body Cameras bei Polizeieinsätzen könnte zusätzlich Beweise bringen, um Polizeigewalt sichtbar zu machen, meint Brigitte Hürlimann. Letzte Woche wurde bekannt, dass die Kantonspolizei Bern bei ihren Einsätzen selektiv Body Cams einsetzen. Das Problem: Die Beamt*innen können selbst entscheiden, wann sie die Kameras einsetzen wollen. Das sieht Brigitte Hürlimann kritisch: «Body Cams müssten immer und bei jedem Einsatz getragen werden. Es darf nicht sein, dass die Polizei darüber befindet, ob und wann die Kameras getragen werden.»
Brigitte Hürlimann im Interview mit Radio RaBe über ihre Recherche «Cops Culture», die letzen Donnerstag beim Onlinemagazin REPUBLIK publiziert wurde:
Pippi Langstrumpf – seit 75 Jahren ungebremst!
Sie lügt sie wie gedruckt, erzählt Phantasiegeschichten und führt Erwachsene mit ihren scheinbar harmlosen Bemerkungen ständig und überall an der Nase herum. Keine Romanfigur des 20. Jahrhunderts hat die Kinderliteratur so stark beeinflusst wie «Pippi Langstrumpf».
Seit ziemlich genau 75 Jahren galoppiert sie mittlerweile durch die Kinderzimmer dieser Welt, bricht sämtliche Regeln und nervt die Autoritäten. Insofern ist Pippi Langstrumpf, zumindest im bürgerlichen Weltverständnis, kein gutes Vorbild. Mit ein Grund dafür, weshalb ihre Schöpferin Astrid Lindgren bereits zu ihrer Verteidigung ansetzte, ehe das Manuskript überhaut beim Verlag angelangt war: «Meine Kinder haben sofort verstanden, dass Pippi ein Einzelfall ist, der normalen Kindern kein Vorbild sein kann», schrieb die Autorin 1945 in einem Begleitbrief, in dem sie den Verlag darum bat, man möge nicht das Jugendamt alarmieren.
Trotz allem wird Pippi Langstrumpf von der breiten Gesellschaft bis heute ein gewisser „Vorbildcharakter“ attestiert. Geht es nach Inger Lison, Jugendliteraturexpertin an der TU Braunschweig, gibt es dafür mehrer Gründe: «Pippi verfügt durch ihre Stärke und ihr Können über sehr viel Macht, die sie aber keineswegs missbraucht, sondern stets im positiven Sinne einsetzt. Zudem hat Astrid Lindgren mit der Figur eine Parodie des gängigen Schönheitsideals geschaffen, was ebenfalls eine Entlastungs- und Vorbildfunktion hat.»
Pippi Langstrumpf ist aber nicht nur schrill und revolutionär, sondern auch eine Symbolfigur für die weibliche Emanzipation. Und sie hat massgeblich dazu beigetragen, dass Kinder heutzutage wieder stärker sich selber sein dürfen. Kurz und knapp: Pippi ist bis heute unerreicht und sorgt auch 75 Jahre nach ihrer Schöpfung noch für glänzende Kinderäuglein.
Weshalb dem so ist, erklärt Inger Lison, die auch Leiterin der Astrid-Lindgren-Datenbank und Autorin beim Onlineportal KinderundJugendmedien ist, im Gespräch mit RaBe: