Am kommenden Sonntag, dem 7. Februar, jährt sich die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz zum 50. Mal. Ziemlich genau 78 Jahre nach Neuseeland und als eines der letzten europäischen Länder sprachen sich am 7. Februar 1971 zwei Drittel der männlichen Stimmbevölkerung für das aktive Stimm- und Wahlrecht der Frauen aus. In unserer Serie über «50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz» nehmen wir das Jubiläum zum Anlass um über weitere Meilensteine auf dem Weg zur politischen Gleichstellung der Geschlechter zu berichten.
Wie eine Walliser Gemeinde zur Vorreiterin in Sachen Frauenstimmrecht wurde
Unsere Serie startet in einem kleinen Bergdorf im Wallis. Auf den ersten Blick würde man hier vielleicht keine Vorkämpfer für die Gleichberechtigung vermuten. Doch die Gemeinde Unterbäch vermochte 1957 jegliche Vorurteile umzustossen.
14 Jahre bevor auf nationaler Ebene das Frauenstimmrecht eingeführt wird, sind die Frauen von Unterbäch die ersten Frauen in der Schweiz, die an die Urne gerufen werden. Eingefädelt hat dies der Gemeindepräsident Paul Zenhäusern. Am 3. März 1957 wurde auf nationaler Ebene über die Einführung eines Zivildienstes für Frauen abgestimmt. Zenhäusern überzeugte seine Kollegen im Gemeinderat, dass die Frauen in eine solche Entscheidung miteinbezogen werden müssten. «Der Anstand und der gute Ton verlangen es», schrieb der Rat in der Begründung für seinen Beschluss, «dass wir Männer uns nicht als allmächtige Vormünder benehmen, sondern Rechte und Pflichten unserer Frauen in Einklang bringen.»
33 von 86 stimmberechtigten Unterbächerinnen wagten sich am Abstimmungssonntag dann auch tatsächlich zur Urne zu gehen. Eine, die das miterlebt hat, ist Germaine Zenhäusern, die Tochter des Gemeindepräsidenten. Sie war bei diesem geschichtsträchtigen Anlass gerade mal sechs Jahre alt. Im Gespräch mit RaBe erinnert sie sich: «Es war sehr viel los auf der Strasse, es war laut, Journalisten aus der ganzen Welt waren gekommen. Aber es gab auch Leute die nicht erfreut waren über die Aktion.» Ihre Mutter Katharina war die erste Frau in der Schweiz, die eine Stimme in eine Abstimmungsurne legen durfte, erzählt Zenhäusern nicht ohne Stolz.
Die Stimmen der Unterbächerinnen wurden aber nie ausgezählt, der Gang der Frauen an die Urne hatte letzten Endes nur symbolischen Charakter. «Sie hatten zwei Urnen hingestellt, eine für die Frauen und eine für die Männer». Es sei klar gewesen, dass Bundesbern ansonsten alle Stimmen aus der Gemeinde für ungültig erklären werde.
Vordergründig sind es also Lokalpolitiker, die den ersten Urnengang für Schweizer Frauen ermöglichten. Was aber nicht unerwähnt bleiben darf: Hinter den Männern steht eine Frau. Iris von Roten. Promovierte Juristin und Gattin des Walliser Grossrates Peter von Roten. Die Webseite von Unterbäch verrät es: Iris von Roten war die treibende Kraft und eigentliche Urheberin des ersten Urnenganges von Frauen in der Schweiz. Ein Jahr später wurde sie wegen ihres provokanten Manifests Frauen im Laufgitter schweizweit bekannt. Ohne ihr Engagement hätten sich Gemeindepräsident Zenhäusern und Grossrat Peter von Roten wohl kaum so vehement für das Frauenstimmrecht eingesetzt.

Die erste Frau der Schweiz, die an einer nationalen Abstimmung teilnahm: Katharina Zenhäusern, 1957 © unterbaech.ch
Als die Frauen auf die Männer pfiffen
Rund 5000 Frauen und Männer standen am Nachmittag des 1. März 1969 um exakt 15 Uhr auf dem Bundesplatz um dem Bundesrat und den Männern, die dem Frauenstimmrecht seit Jahrzehnten Steine in den Weg legten, ein Pfeifkonzert zu halten und ihrer Wut Ausdruck zu verleihen.
Angeführt wurde der Marsch auf Bern von der gebürtigen Toggenburgerin und Aktivistin Emilie Lieberherr, die sich bis Dato aus politischer Perspektive eher in den Hintergrund stellte.
Zum «Marsch auf Bern» aufgerufen hatte der Zürcher Stimmrechtsverein. Damals, im März 1969 war es jedoch der einzige Verein, der sich offen hinter die Kundgebung stellen mochte. Denn der Anlass war auch unter den Frauen keineswegs unbestritten. Die damals grössten nationalen Frauenvereinigungen teilten zwar das Anliegen, blieben der Veranstaltung allerdings fern. Zu gross war die Angst vor einer Retourkutsche der Männer an der Urne.
Eine Delegation des Aktionskomitees begab sich mit der Resolution ins Bundeshaus. Der Bundeskanzler nahm das Papier entgegen – was den Frauen zu wenig war.
Bei der Rückkehr auf den Bundesplatz verkündete Emilie Lieberherr: «Keiner der Bundesräte hatte den Mut, uns zu empfangen!» Das hatte nochmals ein Pfeifkonzert zur Folge. Punkt 16 Uhr erklärten die Organisatorinnen die Kundgebung für beendet.
Trotz der angeheizten Stimmung auf dem Bundesplatz ging der Marsch auf Bern als friedliche Kundgebung in die Geschichtsbücher ein. Erst später wurde bekannt, dass im Bundeshaus und auf der Bundesterrasse die ganze Zeit Polizisten mit Wasserschläuchen und Tränengas auf Abruf standen. Doch die Schlagkraft der Frauen auf dem Bundesplatz war zu gross, als dass sich die Polizei getraut hätte einzugreifen.
Und so wurde die Aktion am 1. März 1969 zu einem Meilenstein auf dem Weg zum Frauenstimmrecht, das schlussendlich vor ziemlich genau 50 Jahren angenommen wurde.

Emilie Lieberherr beim Verlesen ihrer Forderung nach einem Frauenstimmrecht auf dem Bundesplatz (Screenshot: SRF Archiv)
Frauenstimmrecht: warum so spät?!
Vor ihnen hatten nur Putzfrauen das Männerheiligtum Nationalratssaal betreten dürfen – entsprechend gross war die Aufmerksamkeit, die den 12 Frauen entgegengebracht wurde, die im November 1971 ihren Job als National- bzw. Ständerätin in der Männerdomäne Bundeshaus antraten. Im Bernischen Historischen Museum gäbe es derzeit eigentlich eine Ausstellung, die diesen Polit-Pionierinnen gewidmet ist. Aufgrund der Pandemie ist sie aber nicht besuchbar. Dafür gibt die Kuratorin der Ausstellung, Fabienne Amlinger vom Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern im Podcast Gaffeepouse Auskunft über Hintergründe zur Ausstellung Frauen ins Bundeshaus! 50 Jahre Frauenstimmrecht.

Die ersten Frauen im Bundeshaus, die nicht Putzfrauen waren: National- und Ständerätin (1971) (KEYSTONE/Str)
Im europäischen Vergleich war die Schweiz eine Nachzüglerin, als sie 1971 das Frauenstimmrecht einführte. Unweigerlich stellt sich die Frage: Warum erst so spät? Fabienne Amlinger sieht mehrere Gründe dafür. Zum einen hätten damals nur Männer darüber abstimmen dürfen, ob künftig auch Frauen an die Urne dürften. Hinzu kommt, dass das föderalistische System der Schweiz dazu führte, dass die Frauenrechtler*innen an verschiedenen Fronten gleichzeitig aktiv sein mussten, wobei die eher kleine Gruppierung aufgrund von Sprach-, Konfessions- oder Parteigrenzen nicht in sich geschlossen war.
Ein weiterer Grund: Während sich viele europäische Länder nach einer Kriegs- oder Krisensituation durch eine neue Verfassung inklusive Frauenstimmrecht einen demokratischen und progressiven Anstrich geben wollen, habe man in der Schweiz dafür keine Veranlassung gesehen, sagt Amlinger. «Die Schweiz zelebrierte sich als Wieger der Demokratie.»
Das Frauenstimmrecht sei im Alltag schlichtweg kein Thema gewesen, sagt der 92-jährge Rudolf von Werdt in einer weiteren Folge von «Gaffepouse». Von Werdt erlebte beide Abstimmungen: die erste 1959, die abgelehnt wurde, und die zweite erfolgreiche des Jahres 1971. Der Grund, weswegen im Alltag nicht breit über das Frauenstimmrecht diskutiert wurde, dürfte auch in den stereotypen Rollenzuweisungen liegen, die in den 1960er-Jahren noch gang und gäbe waren. In der Schweiz habe eine sehr konservative Vorstellung geherrscht, was sich für Männer und was sich für Frauen gehöre, sagt Amlinger. Männern wurden nach dieser Auffassung die rationale Rolle und der öffentliche Raum zugeordnet, Frauen seien emotional und für Haushalt und Kindererziehung zuständig. «Aufgrund dieser Rollenzuteilung wurde auch behauptet, Frauen seine nicht für Politik geeignet.»
Den Podcast Gaffeepouse des Bernischen Historischen Museums zur Ausstellung «Frauen ins Bundeshaus! 50 Jahre Frauenstimmrecht» gibt’s hier zu hören.
Zeitreise durchs weltweite Frauenwahlrecht
Neuseeland war der erste Staat der Welt, welcher im Herbst 1893 das Frauenwahlrecht gesetzlich verankerte. Für die Vorreiterrolle Neuseelands war laut New Zealand History insbesondere der Mangel an eingefleischten Machstrukturen verantwortlich, weil es damals weder starke politische Parteien noch ein starkes Klassenbewusstsein gab. Der mächtigste Gegner des Frauenwahlrechts in Neuseeland war die Alkohollobby, weil sie befürchtete, dass Frauen für ein Verbot von Alkohol mobil machen würden.
In Russland wurde das Frauenwahlrecht kurz vor der russischen Oktober-Revolution von 1917 eingeführt, und zwar laut Russia Beyond nicht durch die Bolschewiki, sondern durch Fürst Georgij Lwow, dem ersten demokratisch gewählten Ministerpräsidenten der provisorischen Regierung.
Mit Kenia führte im Jahre 1919 der erste Staat des afrikanischen Kontinents das Frauenwahlrecht ein. Allerdings durften im damaligen britischen Protektorat vorerst nur weisse Frauen wählen. Etwas später wurde dann auch den Asiat*innen das Wahlrecht gewährt, gefolgt von den vermögenden schwarzen Frauen. Arabische Frauen hingegen blieben bis zur Einführung des allgemeinen Wahlrechts nach der Unabhängigkeit von 1963 ganz ausgeschlossen. Wie Rosa Zechner in der Zeitschrift Frauensolidarität schreibt, steht diese Entwicklung in Kenia exemplarisch für diejenige auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.

Die beiden englischen Suffragetten Annie Kenney und Christabel Pankhurst, ca. 1908 (Quelle: Wikipedia)
In vielen Ländern war das Frauenwahlrecht zuerst auf spezifische Frauen beschränkt, abhängig vom jeweiligen Verhältnis zu ihrem Ehegatten. Kurz nach dem 1. Weltkrieg im Jahre 1919 wurde es in Belgien vorerst nur für Witwen, alleinstehende Mütter und Frauen eingeführt, welche in Kriegsgefangenschaft gewesen waren. In Bulgarien durften laut der Women’s History Review im Jahre 1937 zuerst auf lokaler Ebene nur verheiratete Mütter wählen, sowie auf nationaler Ebene nur verheiratete, verwitwete oder geschiedene Frauen.
Einer der letzten Staaten, welcher das Frauenwahlrecht einführte, war Saudi-Arabien. Obwohl die gesetzliche Grundlage bereits anfangs 21. Jahrhundert verabschiedet wurde, konnten die Frauen erst im Zuge des arabischen Frühlings im Jahre 2015 erstmals an die Urne gehen.
Zwei Länder kennen bis heute kein Frauenwahlrecht: Einerseits der Vatikan, wo Kardinäle unter 80 Jahren ausschliesslich den Papst wählen können und andererseits im Königreich Brunei, wo zu den letzten Wahlen im Jahre 1962 nur Männer zugelassen waren und seither der Sultan als absoluter Herrscher regiert.
Eine kleine Zeitreise durch das Frauenwahlrecht:
Die Realität im alten Eherecht
Am kommenden Sonntag jährt sich die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz zum 50. Mal. Wir nehmen dieses Jubiläum zum Anlass um im Info über weitere Meilensteine auf dem Weg zur Gleichstellung der Geschlechter zu berichten. Im Fokus der heutigen Ausgabe steht die Abstimmung zum neuen Eherecht vom September 1985.
Vor dem Inkrafttreten des neuen Eherechts war der Mann im Gesetz als «Oberhaupt der Familie» definiert. Er konnte somit gegen den Willen seiner Frau den Wohnort bestimmen und er hatte die Entscheidungsgewalt über die Finanzen – auch über das Geld, dass die Frau in die Ehe gebracht hat. «Der Mann hatte zum Unterhalt von „Weib“ und Kindern „in gebührender Weise“ Sorge zu tragen», erklärt Sandra Hotz, sie forscht zu Gender und Recht an der Uni Basel.
Nur über die laufenden Haushaltsausgaben konnte die Frau alleine entscheiden. «Wollte sie aber zum Beispiel ein Möbelstück oder ein Gefährt kaufen, dann brauchte sie die Einwilligung des Mannes», so Hotz. Eine solche Einwilligung brauchte die Ehefrau ebenfalls wenn sie ein Konto eröffnen oder einer Erwerbsarbeit nachgehen wollte.
Das neue Eherecht kommt 1985 vors Volk, weil das Referendum dagegen ergriffen wurde. Federführend dabei war Christoph Blocher, damals aufstrebender Nationalrat. Er fürchtete sich davor, dass die Verantwortlichkeiten in der Ehe unklar seien, wenn das Gesetz nicht genaue Vorgaben mache.
Am 1. Januar 1988 trat dann das neue Eherecht in Kraft. Zweieinhalb Jahren nach der Abstimmung, da es im Anschluss in den Detailberatungen im Parlament noch zu Kontroversen kam. Das neue Eherecht basiert auf der Grundannahme, dass die Eheleute in einer gleichberechtigten Partnerschaft leben.
Knapp 55% der Abstimmenden sagten Ja zum neuen Eherecht. Entscheidend waren dabei übrigens die Stimmen der Frauen, eine Mehrheit der Männer hat es abgelehnt.
Die Uni Basel führt in den kommenden Wochen eine Ringvorlesung durch mit dem Titel «Aus Gründen der Gerechtigkeit». 50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz – und die unfertige Geschichte der Gleichheit. Durchgeführt über Zoom, offen für alle Interessierten.