Wir blicken zurück ins Jahr 1871, als im Neuenburger Jura 87000 Männer inklusive Pferde aufgenommen wurden und begeben uns auf einen poetischen Audiowalk, den die Beteiligten viel Überwindung gekostet hat. Den Podcast zur Sendung gibst hier:
150 Jahre Bourbakis in der Schweiz
Zwischen dem 1. und 3. Februar 1871 überschritten im Neuenburger Jura bei Les Verrières und anderen Ortschaften rund 87000 Männer und 12000 Pferde der französischen Armee die Schweizer Grenze. Zum denkwürdigen Ereignis kam es, nachdem Frankreich im Deutsch-Französischen Krieg eine herbe Niederlage bei der Schlacht an der Lisaine hatte einstecken müssen und anschliessend nahe der Schweizer Grenze von deutschen Truppen eingekesselt worden war. Bald darauf erhielt der Schweizerische Bundesrat ein Schreiben aus Frankreich, in dem die französische Regierung um die Aufnahme ihrer Soldaten bat.
Nach der Entwaffnung durch die Schweizer Armee wurden die Soldaten in insgesamt 188 Schweizer Gemeinden untergebracht. Die Internierung war der erste Hilfseinsatz des Schweizerischen Roten Kreuzes und somit ein Meilenstein in der Geschichte der schweizerischen Neutralitätspolitik. Gemeinsam mit Zivilpersonen pflegten das Rote Kreuz und weitere Hilfswerke über Wochen die verwundeten Soldaten, bereiteten Mahlzeiten zu, richteten Lazarette und öffentliche Unterkünfte ein, verteilten Lebensmittel, Kleider und Brennholz – trotz Ängsten und Verunsicherungen. «Mit dem Übertritt der Bourbakis wurden kulturelle Grenzen aufgebrochen, die Angst vor dem Unbekannten weichte Solidarität, Neugier und Gastfreundschaft», sagt die Leiterin des Museums Bourbaki Panorama Irène Cramm.
Nach sechs Wochen verliessen die französischen Soldaten die Schweiz und kehrten zurück in ihre Heimat. Doch noch heute zeugt das Bourbaki Panorama in Luzern von der Kooperation zwischen Staat, Hilfswerken und der Zivilbevölkerung, aber auch von der selbstverständlich gelebten Solidarität. Gemalt wurde das Rundbild etwa 10 Jahre nach der Internierung der Bourbaki-Armee von Edouard Castres und seinem Malerteam. Es gilt weltweit als eines der wenigen noch erhaltenen Rundgemälden und steht bis heute symbolisch für den Mythos der humanitären Tradition der Schweiz.
«Die eigene Stimme zu hören ist wie Folter»
Wie kann man einem Publikum eine Erfahrung bescheren, die trotz geschlossenen Theatern und Konzertsälen möglichst nahe an einem analogen Theater- oder Konzertbesuch ist? Mit dieser Frage haben sich die beiden Luzerner Remo Helfenstein und Patrick Müller beschäftigt. Ihre Antwort: Die Hörcollage «Quando sei solo ci sono milioni con te», die auch als sinnlicher Audiowalk funkioniert.
«Man muss gehen, wenn man sich das anhört, dann funktioniert der Rhythmus am besten», sagt Patrick Müller. Seine Empfehlung: Nicht von Zuhause loslaufen, sondern sich gezielt an einen Startpunkt begeben und dann erst mit Hören beginnen. So werde das Stück beziehungsweise der Spaziergang mit der Audiocollage auf den Ohren vergleichbar mit einem Theaterbesuch.
Was die Hörer*innen unterwegs zu hören bekommen, hat den Menschen, die zur Hörcollage beigetragen haben, offenbar einiges abverlangt. Und dies obwohl der Auftrag doch eigentlich ein simpeler war. Remo Helfenstein und Patrick Müller forderten Bekannte und befreundete Künstler*innen dazu auf, sich über Kopfhörer ein Lied ihrer Wahl anzuhören, dazu zu singen, das Gesungene aufzunehmen, danach über den Song zu sprechen und das ganze als Sprachnachricht einzureichen. Normalerweise würde sich ihr Umfeld ja gerne in jedes künstlerische Abenteuer stürzen, sagt Patrick Müller. In diesem Fall aber seien die Hemmungen gross gewesen. «Seine eigene Stimme zu hören, ohne dass diese musikalisch eingebettet ist, ist eine Art von Folter», sagt er lachend.
So einfach der Auftrag an die Kunstschaffenden und Bekannten war – darunter beispielsweise Daniel Fontana, Evelinn Trouble, Phil Hayes und Rea Dubach – umso komplexer ist das, was Remo Helfenstein dann aus den Sprachnachrichten zimmerte: eine rund 30-minütige Audiocollage, in der er gesungene Parts und Erklärungen aus den Sprachnachrichten mit eigenen Soundfiles zu einem poetischen, organischen Ganzen verwebt.
«Quando sei solo ci sono milioni con te» besticht durch Rhythmus und vor allem durch Intimität. Es ist genau das Nichtperfekte, das Zerbrechliche, Rohe und Fragile, das berührt und einem tatsächlich einen kurzweiligen Besuch in einer künstlerischen Institution beschert. Im guten alten Kopfkino.
Beitrag zum Audiowalk mit Ausschnitten:
Den Audiowalk «Quando sei solo ci sono milioni con te» gibst bis 19.3. auf der Webseite des Bad Bonn oder direkt bei Soundcloud zu hören.