Heute im Info nimmt dei Anarchistische Gruppe Bern Stellung zu den Scheinbesetzungen im Vorgang zum Effy29-Prozess. Wir haben mit den Besetzer*innen gesprochen. Im Zeitsprung geht es um das Massaker von Tulsa, am 1. Juni 1921 zog ein Lynchmob durch die Strassen von Greenwood und tötete 300 Menschen. Die älteste noch lebende Zeugin spricht über die aktuellen, zögerlichen Wiedergutmachungsversuche.
Den Podcast zur Sendung gibt’s hier:
Berner Besetzungswelle: Nicht gekommen um zu bleiben
Die Besetzungen vom Wochenende haben für viel Wirbel gesorgt. Zum Auftakt der Effy29-Prozesse haben die Anarchistische Gruppe Bern und die Revolutionäre Alternative Bern in einer koordinierten Aktion in Bern, Zollikofen und Ostermundigen insgesamt sechs Gebäude besetzt.
Allerdings sind sie nicht gekommen, um zu bleiben. Wie Pascal (Name geändert) von der Anarchistischen Gruppe Bern AGB im Gespräch mit RaBe ausführt, gingen sie nicht davon aus, dass die Besetzungen Bestand haben könnten und haben sich deswegen auch Häuser ausgesucht, welche bereits Jahre oder Jahrzehnte leer stehen.
Ziel der Aktion war, sich solidarisch zu zeigen mit den Angeklagten im Effy29-Prozess. Die damalige und aktuelle Debatte rund um die angeblichen «Terrorist*innen» sei fernab von den Realitäten in der Berner Besetzer*innenszene. Zudem würden dadurch die politischen Ziele und Inhalte von Besetzungen komplett ausgeblendet, welche sie mit der Aktion ins Zentrum rückten, indem sie auf den Leerstand bei gleichzeitigem Mangel an Freiräumen aufmerksam machten.
Sie kritisieren die Aufwertung und die damit einhergehende Gentrifizierung vieler Berner Quartiere, die Ausrichtung der offiziellen, städtebaulichen Politik auf vermögende Privatpersonen und Firmen und der damit einhergehende Verlust von Räumen für Geringverdienende und alternative Projekte, Wohn-, Lebens-, und Arbeitsweisen. Der Druck auf die verbliebenen Freiräume sei enorm und diese gelte es zu verteidigen.
Bei Besetzungen gehe es um viel mehr als nur darum, Raum für Kunst, Kultur und Konzerte zu schaffen, sondern ebenso oder vor allem auch um politische Inhalte. Deswegen stehen die beiden Gruppen auch Zwischennutzungen skeptisch gegenüber, weil diese darauf ausgerichtet seien, Besetzungen gezielt zu verhindern. Zwischennutzungsverträge seien Kontrollmechanismen, weil damit erstens Externe entscheiden, wer die Räume wofür nutzen kann und wer nicht, wodurch auch der politische Aspekt verloren zu gehen droht.
Weiter kritisieren die Gruppierungen, dass sich die Stadt einerseits mit Projekten und Initiativen von Besetzer*innen, bzw. allgemein «von unten» schmückt, diese jedoch gleichzeitig zu vereinnahmen versucht, um sie ihren Vorstellungen und Wünschen gemäss anzupassen.
RaBe im Gespräch mit «Pascal» von Anarchistische Gruppe Bern AGB:
Über die Besetzungswelle in Bern haben wir im RaBe Info am Dienstag, 1. Juni 2021 auch mit dem Berner Stadtpräsidenten Alec von Graffenried gesprochen:
100 Jahre Massaker von Tulsa
Das Massaker von Tulsa im Bundesstaat Oklahoma vom 1. Juni 1921 zählt zu den verheerendsten rassistischen Gewaltausbrüchen gegen People of Colour in den USA.
In einer einzigen Nacht hat ein weisser Mob bis zu 300 Menschen getötet und das ganze, von POC bewohnte Quartier Greenwood dem Erdboden gleichgemacht.
Greenwood war damals ein wirtschaftlich blühendes Geschäfts- und Wohnviertel, die Bürger*innen lebten eigenständig in relativer Freiheit, mitten im Südstaat Oklahoma, wo die Jim-Crow-Gesetze die Rassentrennung nach dem Grundsatz «separate but equal» aufrecht erhielten.
Auslöser des Massakers war ein Zeitungsbericht eines angeblichen Vergewaltigungsversuchs eines schwarzen Jungen an einem weissen Mädchen. Was damals geschah, ist bis heute ungeklärt. Der Junge wurde verhaftet, worauf sich vor dem Amtshaus ein weisser Lynchmob versammelte. Bewaffnete POC kamen hinzu, um den Jungen zu schützen. Es kam zu einem Schusswechsel, die Lage eskalierte und der weisse Mob zog mordend und plündernd durch Greenwood. Es wurden Feuer gelegt, bis das ganze Viertel in Flammen stand. Unterstützt wurde der Mob von durch den Sherrif kurzerhand ernannten und bewaffneten Hilfsherrifs, teils Mitglieder des berüchtigten Ku-Klux-Klans.
Wie viele Menschen dem Massaker vom 1. Juni 1921 zum Opfer fielen, ist bis heute unklar. Das amerikanische Rote Kreuz geht von bis zu 300 Todesopfern aus, und von 8000 Menschen, die ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben. Lange wurde den Bewohnenden von Greenwood die Schuld am Massaker zugeschrieben, sie hätten das Massaker mit ihren Emanzipationsbestrebungen provoziert.
Erst im Jahre 1997 richtete der Kongress von Oklahoma die «Tulsa Race Riot Commission» ein, welche die Ereignisse vom 1. Juni 1921 untersuchen sollte. Später sie in «Tulsa Race Massacre Commission» umbenannt, denn in Zusammenhang mit Tulsa von Rassenunruhen zu sprechen, ist blanker Hohn. Bis heute wurde niemand zur Verantwortung gezogen und erst in jüngster Zeit wurde die Suche nach Massengräbern eingeleitet.
Mitte Mai sprach die älteste lebende Zeugin, die 107-jährige Jessica Flechter vor einem Ausschuss des US-Repräsentantenhauses, im Zuge der zögerlichen Bemühungen auf nationaler Ebene, die Opfer und ihre Nachkommen endlich angemessen zu entschädigen – 100 Jahre nach dem Massaker von Tulsa.