Heute sprechen wir im RaBe-Info über zwei Geschäfte, die auf der Traktandenliste des Nationalrates stehen: Sollen Menschen mit Beeinträchtigungen an die Urne dürfen? Und inwiefern soll die Schweiz die europäische Grenzschutzagentur Frontex unterstützen?
Beeinträchtige sollen uneingeschränkt wählen dürfen
Alle Schweizer*innen dürfen hierzulande abstimmen und wählen, wenn sie volljährig und mündig sind. Wird ein Mensch entmündigt, verliert er jedoch seine politischen Rechte. Entmündigt werden in der Schweiz Personen, die z.B. wegen einer Beeinträchtigung unter einer umfassenden Beistandschaft stehen.
Im letzten November änderte der Kanton Genf in einer als historisch bezeichneten Abstimmung diese Regelung. Dort dürfen Menschen künftig wählen und abstimmen, auch wenn sie unter einer umfassenden Beistandschaft stehen.
Nun formieren sich auf Bundesebene Personen und Gruppierungen, die das Stimm- und Wahlrecht schweizweit öffnen wollen. Der Ständerat diskutiert heute Dienstag eine entsprechende Interpellation der Ständerätin Elisabeth Baume-Schneider.
Der Dachverband der Behindertenorganisationen Schweiz, Inclusion Handicap begleitete bereits die erfolgreiche Abstimmung in Genf eng und befürwortet die geforderte Öffnung. Gemäss Caroline Hess-Klein, Leiterin Abteilung Gleichstellung von Inclusion Handicap ist die im Zentrum stehende umfassende Beistandschaft problematisch, durch welche Menschen ihre politischen Rechte verlieren. Sie sei ein Instrument aus dem Zivilrecht, durch das Menschen vor sich selber geschützt werden sollen, wenn sie eine schwere geistige oder psychische Beeinträchtigung hätten. Wegen diesem zivilrechtlichen Aspekt jedoch pauschal die durch die Verfassung garantierten politischen Rechte einzuschränken, sei ungerecht und fern der Realität.
Es gebe sicher Menschen mit einem umfassenden Beistand, die nicht in der Lage seien, sich eine eigenständige politische Meinung zu bilden oder sich gar nicht dafür interessierten. Gleichzeitig gebe es in dieser Gruppe aber durchaus Menschen, die sehr wohl in der Lage zur politischen Meinungsbildung seien, und denen dies ein grosses Anliegen wäre.
Inclusion Handicap geht davon aus, dass in der Schweiz rund 15 000 Personen einen umfassenden Beistand hätten. Diesen eine eigenständige politische Meinungsbildung zu ermöglichen und sie vor Missbrauch zu schützen, ist laut Hess-Klein klar die Aufgabe des Staates. Dieser müsse entsprechende Stellen schaffen, welche Menschen mit Beeinträchtigungen begleiten und unterstützen.
Um Menschen mit einem umfassenden Beistand den Weg zu Wahlen und Abstimmungen zu ebnen, ist eine Verfassungsänderung und somit eine nationale Volksabstimmung nötig. Diese hätte angesichts der 75% Ja-Stimmen in Genf vom letzten November wohl gute Chancen. Inclusion Handicap befürwortet eine entsprechende Vorlage. Ein solcher Umgang mit beeinträchtigten Menschen sei nicht mehr zeitgemäss und müsse geändert werden, so Caroline Hess-Klein gegenüber RaBe:
Erweitertes Frontex-Mandat im Ständerat
Die Grenzschutzagentur Frontex kommt nicht aus den Negativschlagzeilen heraus. Wegen mutmasslichen illegalen Pushbacks haben drei Nichtregierungsorganisationen beim Europäischen Gerichtshof kürzlich Klage gegen Frontex eingereicht. Sie werfen Frontex Menschenrechtsverletzungen vor, weil sie Geflüchtete vor der griechischen Küste illegal in türkische Gewässer zurückschleppe. Aufgrund der anhaltenden Kritik hat das EU-Parlament zudem kürzlich eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Frontex wird bisher kaum demokratisch oder parlamentarisch kontrolliert, obwohl die Agentur immer mehr und mehr Kompetenzen erhält.
Über die jüngste Erweiterung des Frontex-Mandats, welche die EU beschlossen hat, beugt sich morgen Mittwoch der Ständerat. Dass sich die Schweiz daran beteiligt, steht wohl ausser Frage, ist Frontex doch Teil von Schengen und die Schweiz als Mitgliedstaat dazu verpflichtet, beschlossene Änderungen mitzutragen. Die Frage ist jedoch, wie sich die Schweiz beteiligt.
Die Mehrheit der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates SIK plädiert grundsätzlich für die Erhöhung der Mittel auf 68 Millionen Franken, fordert jedoch humanitäre Ausgleichsmassnahmen. Einmalig soll die Schweiz im Rahmen eines Resettlement-Programms bis zu 2800 Geflüchtete aufnehmen. Zudem sollen die Rechtsmittel von Asylsuchenden gestärkt werden, unter anderem durch einen besseren Zugang zu Rechtsberatungen.
Gemäss Mathias Zopfi, Ständerat der Grünen Kanton Glarus und Mitglied der Sicherheitskommission SIK ist die Forderung nach der Stärkung der Rechtsmittel von Geflüchteten kaum mehr als eine symbolische Geste, weil sie in der Praxis zu keinen Veränderungen führe. Das Resettlement-Programm hingegen erachtet Zopfi als wichtige humanitäre Ausgleichsmassnahme. Gleichzeitig betont er, den Grünen gehe sie zu wenig weit, weil die Erhöhung der Mittel für Frontex langfristig erfolge, das Resettelment-Programm jedoch nur einmalig geplant sei.
Um sich ein Bild von der Arbeit von Frontex vor Ort zu verschaffen, reiste die Kommission kürzlich nach Griechenland. Aufgrund der bleibenden Eindrücke vor Ort geht Zopfi davon aus, dass der Ständerat minimalen Ausgleichsmassnahmen zustimmen wird und der Nationalrat diese erweitern wird. Falls dies nicht der Fall sei, werde nicht nur die Grüne Fraktion die Vorlage ablehnen.