Was die Opferzahlen anbelangt, gehört das Massaker von Paris zu den grössten Staatsverbrechen auf französischen Boden, sagt der in Paris lebende Journalist und Buchautor Bernard Schmid.
Am 17. Oktober 1961 schlug die Pariser Polizei eine friedliche Massenkundgebung von algerischen Franzosen und Französinnen blutig nieder. Gemäss Schätzungen starben dabei weit über 200 Menschen.
Es tobte die letzte Phase des Algerienkrieges, in welchem das nordafrikanische Land für die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich kämpfte. Auch auf französischen Boden gab es Attentate, Kämpfe unter algerischen Gruppen, sowie gewalttätige und zahlreiche friedliche Proteste. Seit anfangs Oktober galt deshalb auch in Paris explizit für algerische Franzosen und Französ*innen eine nächtliche Ausgangssperre.Dagegen protestierten am 17. Oktober 1961 mehrere 10 000 algerische Franzosen in Paris. Dazu aufgerufen hatte die nationale, algerische Befreiungsfront FLN, welche im Vorfeld mit zahlreichen Massnahmen dafür sorgte, dass in ihren Reihen die Proteste nicht in Gewalt umschlagen würden, so der Journalist Bernhard Schmid.
Nichtsdestotrotz ging die Pariser Polizei brutal gegen die Protestierenden vor. Unzählige Demonstranten wurden in die Seine gestossen, in Auffanglager verfrachtet und mit Knüppeln totgeprügelt.
Der Polizeieinsatz stand unter der Verantwortung des damaligen Polizeipräfekten Maurice Papon, ein Mann mit dickem Sündenregister. Während des 2. Weltkrieges machte sich Papon einen Namen als Nazi-Kollaborateur, später in Algerien durch seine äusserst brutalen Methoden zur Niederschlagung von Aufständen.
Bis heute wurde in Frankreich niemand für das Massaker zur Rechenschaft gezogen.
Polizeipräfekt Papon musste sich zwar vor Gericht verantworten, aber nicht wegen dem Massaker vom Oktober 1961, sondern aufgrund seiner zentralen Rolle bei der Deportation von französischen Juden und Jüdinnen im 2. Weltkrieg.
Nach dem Massaker vom 17. Oktober 1961 versuchte das offizielle Frankreich, einen Mantel des Schweigens über das Verbrechen zu legen.
Jahrelang gab es kaum Medienberichte, keine Aufarbeitung und keine öffentliche Entschuldigung. Erst im Verlauf der 90er Jahre erschienen vereinzelt Filme und Bücher über das Massaker, Historiker*innen begannen zu graben und schliesslich gab es auch den ersten offiziellen Auftrag aus dem Innenministerium an den Richter Dieudonné Mandelkern, den Ereignissen vom Oktober 1961 nachzugehen. Dabei wurde die bis dahin offiziell geltende Zahl von 2 Toten erstmals etwas nach oben korrigiert, auf 30 bis 40 Tote, sagt Bernard Schmid.
Kurz nach der Jahrtausendwende liess die damalige, sozialdemokratische Regierung von Paris eine erste Gedenkplakette an der Seinebrücke anbringen. Und erst im Jahre 2011, 50 Jahre nach dem Massaker folgte schliesslich die erste offizielle Anerkennung und Entschuldigung eines französischen Staatspräsidenten durch den Sozialisten François Hollande.
Laut dem Journalisten Bernard Schmid brauchte es für diesen Schritt einen Generationenwechsel. Es brauchte Leute an der Staatsspitze, welche während des Algerienkrieges und dem Massaker von Paris noch keine hochrangigen Posten bekleidet hatten. Somit kam diese Anerkennung jedoch auch für die meisten Angehörigen der Opfer viel zu spät.
Im Oktober-Zeitsprung blicken wir zurück: