Kolumbien leidet seit mehr als einem halben Jahrhundert unter einem internen bewaffneten Konflikt zwischen Guerillagruppen, Paramilitärs und regulären Streitkräften. Seit 1984 hat der kolumbianische Konflikt über sechs Millionen Opfer gefordert, Tausende Menschen wurden vertrieben. Und das Gewaltpotential in Kolumbien ist nach wie vor hoch. Nachdem sich die kolumbianische Regierung und die FARC im Jahr 2016 auf einen Friedensvertrag einigen konnten, hat sich die Situation zwar zwischenzeitlich etwas entspannt – doch mittlerweile steht der Friedensvertrag erneut auf wackligen Beinen.
2019 kam es zu einer Reihe von Demonstrationen, wie sie Kolumbien in der Grössenordnung seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hatte. In nationalen Streiks verlangte die Zivilbevölkerung, dass die kolumbianische Regierung die Umsetzung des Friedensvertrags endlich konsequent angehen soll. Bislang sei nur ein bescheidener Teil des Abkommens tatsächlich umgesetzt worden, erklärt der 39-jährige Menschenrechtsanwalt Franklin Castañeda, Präsident der Menschenrechtsorganisation Comité de Solidaridad de Presos Políticos: «Der Staat hat es nicht geschafft, das Macht-Vakuum auszufüllen, welches die Guerilla-Kämpfer der FARC in gewissen Regionen von Kolumbien hinterlassen habe. Dieses Machtvakuum sei dann von anderen Gruppierungen gefüllt worden, vorwiegend von paramilitärischen Einheiten und von Drogenbanden.»

Ein Protestsmarsch gegen die lasche Umsetzung des Friedensabkommens in Kolumbien. Foto: © Leon Hernandez
Die massive Gewalt im Land geht nun von genau diesen bewaffneten Gruppierungen aus, welche die Oberhand über die ehemaligen Guerilla-Gebiete der FARC gewinnen wollen. Der Grund dafür ist simpel: In den umkämpften Regionen hat die Bevölkerung so gut wie keinen Zugang zu Bildung, Wasser und Sanitären Anlagen. «Wenn dann Menschenrechtsaktivist*innen oder Indigene auf diese Zustände aufmerksam machen oder mit dem Staat zusammenarbeiten, ist das den Gruppierungen ein Dorn im Auge. Wer sich ihren Interessen und illegalen Machenschaften in den Weg stellt, wird kurzerhand umgebracht», erklärt Franklin Castañeda im Beitrag von Salim Staubli.
Der Menschenrechtsanwalt befürchtet, dass die Gewalt in den nächsten Monaten noch mehr zunehmen wird. Grund dafür sind die ausserordentlichen Parlamentswahlen, bei denen neuerdings auch Abgeordnete aus den umkämpften Regionen ins Parlament gewählt werden können. Ende September hat sich Castañeda deshalb mit Vertreter*innen des Schweizerischen Aussendepartements getroffen, in der Hoffnung dass die Schweiz ihrerseits unabhängige Wahlbeobachterinnen nach Kolumbien schickt. Höchste Priorität hat für den 39-jährigen aber vor allem die rasche Umsetzung des Friedensvertrags. Auch hier könne die Schweiz indirekt einen Beitrag leisten, indem sie Druck auf die kolumbianische Regierung ausübe, so Castañeda.

Franklin Castañeda hatte auch Kontakt mit Schweizer Parlamentarier*innen um über die Menschenrechtssituation in Kolumbien zu informieren. Bild: © PBI
Das Interview mit Franklin Castañeda fand dank der Unterstützung und Übersetzung von Peace Brigades International statt. Weitere Infos über die aktuelle Menschenrechtssituation in Kolumbien gibt es unter www.peacebrigades.ch