Wie müssen sich die Schweizer Musikschulen verändern, damit alle Menschen Zugang haben? Welche Wege führen zu einem inklusiven, barrierefreien Musikunterricht?
Diese Fragen behandelt die Veranstaltungsreihe Zukunftsmusik 2021 vom 12. – 14. Oktober 2021 in Bern, organisiert von Tabula Musica und der Berner Hochschule der Künste HKB. Die Reihe mit Vorträgen, Workshops und Konzerten richtet sich an Personen mit und ohne Beeinträchtigung.
Special Guest ist Hang-Spieler Jonas Straumann, welcher am Donnerstag Abend mit dem inklusiven Orchester Tabula Musica auftritt. Straumann ist Autodidakt, alles was er kann, hat er sich selber beigebracht. Seit Geburt ist Straumann stark hörbeeinträchtigt, auf einem Ohr hört er gar nichts, auf dem anderen nur rund 15%.
Schon als Kind spielte er mit grosser Begeisterung zahlreiche Instrumente. Von seinem Wunsch, Berufsmusiker zu werden, haben ihm jedoch alle stets abgeraten. Es sei ein brotloser Job und mit seiner Hörbeeinträchtigung sei dies sowieso nicht möglich. Nach einer dunklen Phase voller Zweifel und Unzufriedenheit, erfüllte sich Straumann seinen langersehnten Wunsch, kaufte sich sein erstes Hang, übte und übte und wurde Strassenmusiker. Dadurch stärkte er sein Selbstvertrauen und seine Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein. Heute arbeitet Straumann als selbständiger Musiker.
Zu Gast an der Veranstaltungsreihe «Zukunftsmusik 2021» ist auch Sylvain Jaccard, ehemaliger Direktor des Konservatoriums Neuenburg.
Als Jaccard 2013 seine Stelle antrat, fiel ihm auf, dass fast nur Schüler*innen aus der Mittel- und Oberschicht an der Musikschule ein- und ausgingen, gut angezogen, gebildet, privilegiert.
Somit habe ein Grossteil der Bevölkerung von Neuenburg keinen Zugang zum Konservatorium gehabt. Laut Gesetz muss der Musikunterricht jedoch allen offenstehen, egal ob arm oder reich, egal ob mit oder ohne Beeinträchtigung. So brachte das Konservatorium Neuenburg das Projekt «Musik für alle» auf den Weg. Inzwischen gibt es am Konservatorium 23 Klassen à je einer Handvoll Schüler*innen mit Beeinträchtigungen, die entsprechend ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen unterrichtet werden.
Inklusion bedeute nicht, dass sich die Schüler*innen anpassten müssten, sondern dass sich die Schule entsprechend den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen anpasse, so Jaccard.
Auf dem Weg zu einem inklusiven, barrierefreien Musikunterricht gäbe es einige Hürden zu überwinden. Eine der grössten Hürden verortet Jaccard bei den Ängsten der Lehrpersonen. Als wichtig erachtet er deshalb spezifische Ausbildungsangebote, wie sie zum Beispiel die Berner Hochschule der Künste HKB anbietet, im Rahmen ihrer spezifischen, französischsprachigen Weiterbildung für Lehrkräfte, welche Menschen mit besonderen Bedürfnissen unterrichten oder unterrichten möchten.
Auch bei den Schulleitungen brauche es ein Umdenken, betont Jaccard. Es brauche den Willen, vom herkömmlichen Lehrplan abzurücken und sich daran zu erinnern, dass alle Menschen das Recht haben, sich musikalisch zu entfalten und aus- und weiterzubilden.