An den felsigen Küsten von Samos wird ein kaum seetüchtiges Boot gegen die Felsen geschleudert. Es kentert, alle 24 Personen fallen ins Wasser. Ein 6-jähriger Junge stirbt. Die Szene, die sich vor rund einem Jahr so abspielte, ist kein Einzelfall: Seit vielen Jahren ertrinken immer wieder Menschen in der Ägäis, Menschen, die auf der Flucht sind vor Krieg – aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak. Neu ist jedoch, dass sich der Vater des toten Kindes vor Gericht verantworten muss. Weil sein Sohn auf dem Weg in ein vermeintlich besseres Leben ertrank, soll der 25-jährige N. wegen Kindeswohlgefährdung für bis zu zehn Jahre in Gefängnis. Eine weitere Person wurde ebenfalls verhaftet: Hasan, der das Boot gesteuert hatte. Ihm drohen 230 Jahre Haft – für jede transportierte Person 10 Jahre, denn in Griechenland wird die Beihilfe zur illegalen Einreise härter bestraft als Mord. Dabei hatte Hasan gar keine Wahl, er sass dem Motor am nächsten, weswegen die Schmuggler ihn gezwungen haben, das Boot zu steuern.
Seenotretter*innen, Menschen, die sich auf den Fluchtrouten mit einer Organisation engagieren, werden schon lange kriminalisiert. Sie erfahren jedoch oft breite Unterstützung wenn sie sich vor Gericht verantworten müssen. Anders geht es den Flüchtenden, welche willkürlich verhaftet werden. Laut Kristina di Bella von Borderline Europe sitzen in Italien und Griechenland derzeit um die 4000 Menschen hinter Gittern, weil die Behörden sie als Person mit einer aktiven Rolle auf einem Boot identifiziert hatten. Zum Beispiel weil sie Englisch sprachen oder ein Handy mit sich trugen.
Der Prozess gegen N. sei nun aber ein absolutes Novum. Die Justiz wolle mit der Anklage gegen ein Elternteil einen Präzedenzfall schaffen. Aus diesen Gründen habe Borderline Europe die Kampagne FreeTheSamos2 gestartet. Mit einer Petition fordert die Organisation, dass die Anklage gegen N. und gegen Hasan fallen gelassen wird und Freiheit für alle, die wegen des Steuern eines Bootes inhaftiert sind.
