Ein ultrarechter Pinochet-Symphatisant oder ein ehemaliger Anführer von Studentenprotesten: Die beiden Kandidaten für die Präsidentschafts-Stichwahlen in Chile vom 19. Dezember 2021 sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Nach dem ersten Wahlgang vom Sonntag liegen sie fast gleich auf. Der Rechtspopulist José Antonio Kast erhielt 28% der Stimmen, knapp gefolgt vom ehemaligen Studentenanführer Gabriel Boric mit 26%.
Die politische Mitte habe in Chile ebenso ausgedient wie die traditionellen Parteien, sagt Claudia Zilla, Politikwissenschaftlerin und Senior Fellow an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Grund dafür sei unter anderem der aktuell laufende Prozess rund um die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Auf Druck von sozialen Bewegungen wurde im Mai 2021 eine verfassungsgebende Versammlung gewählt, mit dem Auftrag, eine neue Verfassung auszuarbeiten, um damit quasi das letzte verbliebene Erbe der Pinochet-Diktatur überwinden zu können. Dieser Prozess habe zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt, so Zilla.
Der erst 35-jährige Gabriel Boric vom linken Wahlbündnis «Apruebo Dignidad» (Ich stimme der Würde zu) stehe klar hinter dieser neuen Verfassung und ihrer Werte. Dies erstaunt wenig angesichts der Tatsache, dass es eine der Hauptforderungen der Student*innenbewegung war, welche zu einer breiten Massenbewegung erstarkte und Chile kurz vor der Coronakrise in die internationalen Schlagzeilen gebracht hatte.
José Antonio Kast seinerseits wird oft mit dem umstrittenen, brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro verglichen. Laut Zilla steht Kast für Sicherheit und Ordnung, für konservative Werte und traditionelle Rollen- und Familienbilder. Als Populist spreche er denjenigen Teil der Bevölkerung an, der sich durch die aktuellen, fundamentalen Umbrüche in der Gesellschaft bedroht fühle und Angst habe, errungene Privilegien zu verlieren. Kast habe denn auch bereits angekündigt, im Falle seiner Wahl alles zu tun, damit die neue Verfassung bei der Volksabstimmung durchfalle.
Claudia Zilla im Gespräch mit RaBe: