Illegale Pushbacks, Gewalt gegen Asylsuchende, Korruption und geheime Treffen mit der Rüstungslobby: Die Liste der Vorwürfe gegen die europäische Grenzschutzagentur Frontex wird immer länger.
Bis Mitte Januar läuft in der Schweiz ein Referendum gegen die Erhöhung des Schweizer Beitrags an Frontex, von heute 14 auf jährlich 61 Millionen Franken.
Gleichzeitig ist beim europäischen Gerichtshof EuGH seit Mai 2021 die erste Klage wegen Menschenrechtsverletzungen gegen Frontex hängig. Diese wollen wir anlässlich des Referendums genauer unter die Lupe nehmen.
Gemeinsam mit zwei weiteren Nichtregierungsorganisationen klagt Front-Lex im Namen zweier Asylsuchenden beim EuGH. Beide waren Opfer von mehrfachen, kollektiven Abschiebungen. Während sie versuchten, in der EU internationalen Schutz zu erhalten, wurden sie verhaftet, entführt, gewaltsam auf ein Boot verfrachtet und mitten auf dem Meer ausgesetzt, ohne Navigationsmittel, Treibstoff, Nahrung und Trinkwasser. Dies qualifiziert Front-Lex als versuchten Mord.
Frontex sei sowohl aktiv als auch indirekt an diversen illegalen Pushbacks beteiligt, sagt Omer Schatz, Juristischer Leiter von Front-Lex, weil beim europäischen Grenzschutz eine klare Aufgabenteilung herrsche. Frontex koordiniere und plane die Operationen, und sei für die Überwachung zuständig. Frontex spüre die Asylsuchenden auf und stoppe sie. Dann rufe sie beispielsweise die griechische Küstenwache, um die «Drecksarbeit zu machen», wie Omer Schatz es nennt, sprich die Geflüchteten irgendwo auf dem Meer auszusetzen.
Gemäss Front-Lex stellen diese Kollektivabschiebungen gravierende Verstösse gegen internationales Recht dar, darunter gegen das Non-Refoulment-Prinzip und das Verbot von Kollektivabschiebungen.
Dabei sprächen die gesetzlichen Grundlagen eigentlich Klartext. Gemäss Bestimmungen müsste Frontex Operationen unterbrechen oder abbrechen, sobald die Gefahr bestehe, dass fundamentale Menschenrechte verletzt werden könnten. Ebendies habe Frontex jedoch systematisch unterlassen, indem die Agentur nichts dagegen unternommen habe, dass tausende Menschen auf See ausgesetzt werden.
Falls der Europäische Gerichtshof EuGH die Klage von Front-Lex stützt und die Praktiken von Frontex als unrechtmässig verurteilt, hätte dies gemäss Omer Schatz weitreichende Folgen, nicht nur für Frontex selbst, sondern auch für sämtliche Schengen-Mitgliedstaaten, welche das Personal von Frontex stellen, darunter auch die Schweiz.
Mit der Klage will Front-Lex erreichen, dass das höchste europäische Gericht ein Grundsatzurteil bezüglich den Pushbacks fällt, und damit sowohl die Mitgliedstaaten, als auch die EU-Kommission gezwungen würden, grundsätzliche Reformen einzuleiten.