Die Atomkraft kriegt einen grünen Stempel: Gestern gab die EU bekannt, dass Investitionen in Atomkraftwerke neu als «klimafreundlich» gelten. Relevant ist diese Klassifikation in erster Linie für Investor*innen, sie dient ihnen als Orientierungshilfe beim Anlegen von Geld. Mit der neuen Taxonomie soll der Übergang vom Zeitalter der fossilen Brennstoffe hin zur Klimaneutralität reibungslos gelingen, so die EU.
Die neue Regelung werde vor allem in einem Punkt Auswirkungen haben: In der Laufzeitverlängerung der bestehenden Atomkraftwerke, erklärt Marcos Buser, welcher sich seit bald 50 Jahren mit dem Thema Atomenergie beschäftigt und den Blog Nuclearwaste mitbetreibt. Viele Reaktoren seien für einen Betrieb von 30 Jahren vorgesehen und können nun auf eine Laufzeitverlängerung auf bis zu 80 Jahre hoffen. «Aus meiner Sicht eine Katastrophe», sagt der Geologe und Sozialwissenschaftler.
Neue AKWs würden jedoch kaum gebaut werden, trotz „grünem Label“ der EU. «Die Wirtschaftlichkeit der Atomkraft ist einfach nicht gegeben», so Buser. Zudem gäbe es bei den neuen Technologien zu viele Probleme, die sogenannten Small Modular Reactors seien kaum vor 2040 einsatzbereit. «Bis zu diesem Zeitpunkt haben die erneuerbaren Energien einen derartigen ökonomischen Vorsprung, dass es kaum noch denkbar ist, dass Atomkraft-Technologien eingesetzt werden». In der Schweiz sei der Ausstieg aus der Atomkraft beschlossene Sache, auch der EU-Entscheid werde kaum etwas daran ändern.
Im Zusammenhang mit der gestrigen Ankündigung, dass Investitionen in Atomkraft nun als klimafreundlich gelten, sagte die EU-Kommissarin Mairead McGuinness gegenüber den Medien, dass die Frage nach der Entsorgung des Atommülls bis ins Jahr 2050 sicher geklärt sein werde. «Für mich sind solche Deklarationen nicht seriös», kritisiert Buser. Weder in der Schweiz noch im Rest Europas gäbe es ein sicheres Endlager. Hierzulande sucht die Nagra, die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, immer noch nach einem geeigneten Standort für das sogenannte geologische Tiefenlager. Etwa im Jahr 2030 – so der jetzige Fahrplan – soll der Bundesrat ein entsprechendes Bewilligungsgesuch beurteilen.
Danach werde sich auch noch die Frage stellen, wie ein solcher Ort gekennzeichnet werden könnte, damit der Atommüll auch in Hunderttausenden von Jahren sicher unter der Erde verborgen bleibt. Denn ob mit weiteren EU-Investitionen in die Atomkraftwerke oder ohne: Der Atommüll wird noch lange eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen.