Ein Klassentreffen, ein Priester und eine Kosmonautentochter waren für den Basler Regisseur und Produzenten Frank Matter ausschlaggebende Faktoren dafür, mal darüber nachzudenken, wie seine Biografie verlaufen wäre, wenn er woanders unter ganz anderen Umständen aufgewachsen wäre. Diese existentielle Fragestellung bildet den Kern seines Dokumentarfilms Parallel Lives und wird zum Ausgangspunkt einer geografisch weit ausgreifenden Reflexion. Der griechische Schriftsteller und Philosoph Plutarch liefert den Filmtitel.
Matter machte sich auf die Suche nach gleichaltrigen Menschen und gab sein Geburtsdatum ins WorldWideWeb ein, den 8. Juni 1964. Und fand zahlreiche bekannte Personen, u. a. die Tochter der ersten russischen Kosmonautin, Jelena Tereschkowa. Matters Mail-Anfragen an sie blieben unbeantwortet. «Zum Glück», wie er heute sagt. Denn nun sind die vier Persönlichkeiten, die wir im Film kennenlernen dürfen, «ganz gewöhnliche Menschen», die keine Weltgeschichte geschrieben haben: Zukiswa, Li, Michel und Melissa. Sie wohnen in den USA, in Südafrika, in China. Länder, Staaten, die unterschiedlicher nicht sein können. Wir reisen mit ihnen durch ihre bewegten Biografien, hören ihnen zu, irgendwann wie alten Bekannten.
Der Regisseur verwebt ihre Geschichten mit seiner eigenen, findet durch sie persönlichen Zugang zur Zeitgeschichte und macht so mit geschickter Montage von Archivmaterial das verflochtene Weltgeschehen sicht- und greifbar. «Ich wollte der Frage nachspüren, wie die Veränderungen in der Aussenwelt unser Bewusstsein und die Wahrnehmung formten und wie gleichzeitig Bewusstsein und Wahrnehmung unser Handeln und so die Epoche prägten. Was ist mit mir und meinen Zwillingen passiert im Spannungsfeld von Befreiung und Entwurzelung, persönlicher Freiheit und Vereinsamung, Emanzipation und Bevormundung, Toleranz und Gleichgültigkeit?», so Frank Matter im Film.
Warum sollten wir uns eine Dokumentation ansehen über völlig fremde Menschen?
Weil sie gute Erzähler*Innen sind.
Weil uns ihre Leben tangieren.
Und weil ihre Geschichten Teil der Weltgeschichte sind.
Ein Beitrag von Jeannette Wolf Merci Jeannette!
«Parallel Lives» gewann 2021 den Basler Filmpreis und den Publikumspreis bei BE MOVIE – dem Berner Filmpreiswochenende. Kinostart in der Deutschschweiz ist heute, am 10. Februar. In Bern läuft der Film heute Abend um 19:30 im Kino Rex mit Regisseur und Gästen.
Zeitgeschehen

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