In knapp vier Wochen, am 10. April, finden in Frankreich Präsidentschaftswahlen statt. Sollte keine Kandidatin, kein Kandidat in diesem ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten, so ist für den 24. April ein zweiter Wahlgang vorgesehen.
Neben dem amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron bewerben sich ganze 11 Personen für das Amt, vom antikapitalistischen Gewerkschafter Philippe Poutou bis hin zum verurteilten Rechtsextremen Éric Zemmour. «Die Präsidentschaftswahl ist das grosse demokratische Moment in Frankreich», erklärt der Zürcher Historiker und Politologe Joseph de Weck im Interview mit RaBe. De Weck wohnt seit fünf Jahren in Paris und hat ein Buch über Emanuel Macron und dessen Frankreich im Berliner Verlag Weltkiosk veröffentlicht. De Weck rechnet dem amtierenden Präsidenten gute Wahlchancen aus, denn bei den Umfragen erziele Macron seit Jahren konstant um die 25 Prozent, womit es nahezu ausgeschlossen sei, dass er nicht in den zweiten Wahlgang komme. Dort treffe er dann auf eine Kandidatin oder einen Kandidaten, die oder der kaum mehrheitsfähig sei.
Aus linker Perspektive habe Macron in den letzten Jahren manches richtig gemacht: «Macron hat die Lohnkosten massiv gesenkt indem er die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge für tiefe Löhne gestrichen hat», erklärt de Weck. Dies habe geholfen, Arbeitsplätze zu schaffen, die Arbeitslosigkeit sei auf 7.6 Prozent gesunken. Zudem habe Macron sich für die Einführung der OECD-Mindeststeuer für multinationale Konzerne engagiert und er habe sich für Chancengleichheit eingesetzt, indem er grosszügig in die Kleinkindbildung und im Primarschulbereich investiert habe.
Macron ist jedoch weit davon entfernt, ein Linker zu sein. Seine Errungenschaften werden überschattet von einer Entwicklung hin zu einer stärkeren Zentralisierung der Macht. «Macron kontrolliert das Parlament praktisch aus dem Élysée heraus. Reformen hat er gegen heftigen Widerstand beispielsweise der Gewerkschaften durchgesetzt», kritisiert de Weck. Ausserdem habe Macron Steuern auf Kapitalinvestitionen gesenkt, also eine Steuerpolitik zu Gunsten der Vermögenden betrieben.
Von linker Seite wird Macron von ganzen sieben Personen herausgefordert. Darunter sind beispielsweise die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, ein Kandidat der Grünen, Yannick Jadot, und Jean-Luc Mélenchon, der schon 2017 für seine Bewegung «La France insoumise» antrat. Themen wie Atomenergie, Europa und Identitätspolitik spalte die Linke seit Jahrzehnten, womit sich kaum eine der Kandidierenden ernsthafte Chancen ausrechnen könne, in den zweiten Wahlgang zu kommen.
Aus dem rechtsextremen Lager gibt es zwei Kandidaturen: Marine Le Pen vom rechtspopulistischen Rassemblement National; rechts überholt wird sie von Éric Zemmour, einem islam- und frauenfeindlichen Publizisten, der wegen Aufrufs zu rassistischer Diskriminierung rechtskräftig verurteilt ist. Es sei zwar möglich, dass eine der beiden Rechtsaussen-Kandidaturen den zweiten Wahlgang erreiche. In der Folge davon würde jedoch im zweiten Wahlgang von links bis tief in die Mitte mobilisiert werden, um eine rechtsextreme Präsidentschaft zu verhindern.
Ausserdem berichtet de Weck von einer Beobachtung, welche er selbst nicht erklären könne. In anderen Ländern gäbe es das Phänomen des Shy Voters: Befragte würden verheimlichen, dass sie rechtsextrem wählten. In Frankreich sei dieses Phänomen genau umgekehrt: Das Wahlresultat der Rechtsextremen sei letzten Endes immer tiefer als in Umfragen. «Es scheint fast so, als hätten gewisse Französinnen und Franzosen Spass daran, in Umfragen ihrem Frust Luft zu verschaffen, indem sie sagen, sie würden rechtsextrem wählen. Kommen sie dann zur Urne, machen sie es aber nicht», so der Politologe und Historiker.
Das ganze Interview mit Joseph de Weck: