Wählst du für oder gegen Victor Orbán?
Das ist die wohl einzige, relevante Frage bei den Parlamentswahlen in Ungarn vom nächsten Sonntag.
Zum ersten Mal überhaupt hat die Opposition alle Kräfte zusammengelegt und tritt fast geeint gegen den autoritären Machthaber Victor Orbán an.
Dennoch sind die Chancen auf einen Machtwechsel schwindend klein. «Wenn ich wetten müsste, würde ich auf Orbán setzen. Das ist der Lauf der Dinge in den letzten 12 Jahren in Ungarn, du musst auf Orbán setzen», sagt Zsolt Enyedi, Professor für Politikwissenschaften an der Central European University CEU. Die CEU selber musste wegen der Orbán-Regierung von Budapest nach Wien umziehen.
Victor Orbán habe sämtliche Ressourcen auf seiner Seite. Ihm gehören alle grossen Medien, er kontrolliert Wirtschaft, Bildung und Kirche, er hat mehr Geld als alle anderen und aktuell helfe ihm sogar der Krieg in der Ukraine, betont Enyedi. Es gäbe keinen egalitären Zugang zu den Möglichkeiten Wahlkampf zu machen und Orban sei ein sehr talentierter Politiker, der er sehr gut verstehe, für sich selbst das Beste aus Krisen wie der aktuellen herauszuholen.
In den letzten 12 Jahren passte Victor Orbán sämtliche Strukturen des ungarischen Staates seinen persönlichen Bedürfnissen an.
Dabei ging er nach dem immer gleichen Muster vor. Zuerst wurden private Stiftungen gegründet, die sich sämtlich entweder als christlich, konservativ oder national bezeichnen, was in jedem Fall gleichbedeutend sei mit Pro-Fidesz und Pro-Orbán. Anschliessend habe die Regierung riesige, staatliche Vermögenswerte privatisiert und so den Stiftungen Paläste, Immobilien und Anteile an staatlichen Firmen überlassen.
In einem letzten Schritt vor rund 5 Jahren habe Orbán beschlossen, auch die Bereiche Bildung und Kultur für sich zu vereinnahmen. So habe er von den kleinsten Kulturzentren in den Dörfern bis zu den nationalen kulturellen Institutionen landesweit die Führungspositionen ausgewechselt.
Abgesehen von zwei Universitäten sind inzwischen sämtliche höheren Bildungsinstitutionen des Landes in private Stiftungen überführt worden. Weil die Stiftungsräte von der Regierung ernannt werden, seien die meisten entweder Ex-Minister oder dem Fidesz nahestehende Geschäftsleute, so Enyedi. Die Stiftungsräte sind auf Lebzeiten gewählt und haben die Möglichkeit, selber neue Mitglieder zu bestimmen. Gemäss Enyedi ist mittlerweile über 70% der höheren Bildung in Ungarn direkt durch «Apparatschiks der Fidesz-Partei» kontrolliert.
Weil inzwischen praktisch sämtliche staatlichen Ressourcen von Fidesz-nahen Stiftungen kontrolliert werden, mache es nicht einmal mehr Sinn, die Orban-Regierung zu stürzen, weil selbst wenn eine neue Regierung an die Macht komme, werde sie nichts zu sagen haben, so der Politikwissenschaftler Zsolt Enyedi.
Das ungekürzte Interview mit Zsolt Enyedi in englischer Sprache: