Bei den französischen Parlamentswahlen vom 19. Juni 2022 wurden die Karten komplett neu gemischt. Präsident Emmanuel Macron verliert die absolute Mehrheit, weit über 100 Sitze hat seine Partei «Ensemble» eingebüsst. Die grossen Gewinnerinnen sind das Linksbündnis «Nupes», und allen voran die extreme Rechte.
Die Wahlen der Nationalversammlung sind die logische Fortsetzung der Präsidentschaftswahlen vor knapp 2 Monaten. Damals konnte sich Macron zwar eine weitere Präsidentschaft sichern, jedoch nur dank der Stimmen von Mittelinks, die nicht für ihn, sondern gegen die Rechtsextreme Marine Le Pen mobilisierten. Die deutliche Schlappe jetzt bei den Parlamentswahlen ist also wenig erstaunlich.
Doch etwas mehr erstaunen mag der triumphale Wahlsieg der exremen Rechten. Das «Rassemblement National» von Marine Le Pen hat seine Sitze mehr als verzehnfacht, von 8 auf 89 Sitze und ist nun drittstärkste Kraft im Parlament. Parteichefin Marine Le Pen versprach, man werde die Wünsche der Wähler*innen ins Parlament tragen und den politischen Kurs mitbestimmen, bei Immigration, Sicherheit und Arbeitslosigkeit, bei den verlorenen Regionen und den schlecht behandelten Menschen.
Rhetorisch stark und geschliffen wie immer sprach Le Pen gestern im Siegesrausch. Ihre politischen Ziele verfolgt sie mit weit sanfteren Worten als noch ihr Vater, der Polterer vom ehemaligen «Front National», während die Ziele selber sich kaum verändert haben. Allen voran will Le Pen die Immigration bekämpfen. Asylanträge sollen nur noch im Ausland gestellt werden können, in Frankreich geborene, ausländische Kinder sollen nicht mehr automatisch das Bürgerrecht erhalten. Le Pen will die EU schwächen und die Atomkraft ausbauen. Sie will aber auch Geringverdienende stärken, durch niedrigere Mehrwertsteuern oder höhere Einkommen.
Zumindest hier mag sich das «Rassemblement» vielleicht teilweise mit dem Linksbündnis «Nupes» finden, dem zweiten grossen Sieger der gestrigen Wahlen. Auch Jean-Luc Mélenchon, Kopf des Linksbündnisses zeigte sich gestern zufrieden. «Nupes» habe es geschafft, sagt Mélenchon, den Präsidenten in die Schranken zu weisen, der wiedergewählt worden sei, weil sich das ganze Land verbogen habe, ohne überhaupt zu wissen wofür.
Sein Hauptziel hat Mélenchon allerdings verfehlt. Er wollte Macron die Parlamentsmehrheit abjagen und hatte sich selbst zum neuen Premierminister vorgeschlagen. Dafür reichten die Stimmen bei weitem nicht, weil sehr viele davon gingen nach rechts.
Darüber allerdings verlor Mélenchon gestern kein Wort und konzentrierte sich stattdessen einmal mehr auf seinen Lieblingsfeind Emmanuel Macron. Und er rief die «Nupes»-Wählerschaft dazu auf, jetzt gemeinsam weiterzukämpfen.
Die Strategie von Mélenchon ist aufgegangen. Er hat es geschafft, Frankreichs notorisch zerstrittene Linke zu einen, innert nicht einmal einem Monat verbündete er seine Partei «la france insoumise» mit den Sozialist*innen, den Grünen, den Kommunist*innen und vielen weiteren Kleinstparteien und wurde so zur zweitstärkten Kraft im Parlament.
Bisher geeint im Kampf gegen Macron, muss das Linksbündnis nun allerdings auch im Parlament einen geeinten Kurs finden, damit die langjährigen Gräben nicht gleich wieder aufbrechen.
Auch Präsident Macron und seine Partei, stärkste Kraft, aber ohne absolute Mehrheit im Parlament, haben schwierige Zeiten vor sich. Wo sie künftig Mehrheiten finden, für die anstehenden Gesetzesprojekte, ist offen. Die Karten in Frankreich, sie wurden komplett neu gemischt.