Es tönt, wie es immer tönt, wenn es darum geht, die Kosten trotz steigender Nachfrage stabil zu halten.
In der neuen Bernischen Opferhilfestrategie ist viel von optimieren, verschlanken und Synergien nutzen die Rede – auf Kosten des Opferschutzes, wie Bernische Opferschutzorganisationen befürchten.
Das politisch bereits abgesegnete Mädchenhaus in Biel ist der Opferhilfestrategie gänzlich zum Opfer gefallen.
Seit 2011 kämpft der Verein MädchenHouse desFilles Biel-Bienne für eine Notunterkunft für gewaltbetroffene Mädchen und junge Frauen.
2018 führte der Verein ein Pilotprojekt durch und im Folgejahr bestätigte ein Bericht des Berner Regierungsrates, dass es ein zweisprachiges Mädchenhaus im Kanton Bern braucht.
Das Mädchenhaus war also bereits auf der Zielgeraden, als die Forderung zur Erarbeitung einer gesamtheitlichen, kantonalen Opferhilfestrategie durchs Parlament kam. In dieser Strategie taucht das Mädchenhaus indes nicht mehr auf.
«Wir sind entsetzt, dass der Kanton seinen eigenen Abklärungsbericht verwirft und sein Wort bricht, dass es Schutzunterkünfte für Mädchen und junge Frauen geben soll», sagt Co-Vereinspräsidentin Melanie Hiltbrand. Der Bedarf habe inzwischen nicht ab-, sondern im Gegenteil weiter zugenommen.
Auf Antrag des Parlaments soll gemäss Opferhilfestrategie nun geprüft werden, ob die jungen Mädchen in bestehenden Institutionen unterkommen können. Zur Debatte stehen dabei insbesondere Jugendheime. Melanie Hiltbrand winkt ab. Ein Eintritt in Jugendheime sei mit hohen bürokratischen Hürden verbunden. Zudem seien sie nicht anonym und somit auch nicht genügend geschützt.
Bis geklärt ist, ob die Unterbringung in bestehenden Institutionen überhaupt eine Option ist, sollen gewaltbetroffene Mädchen in Frauenhäusern unterkommen. Marlies Haller, Geschäftsführerin der Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern betreibt 2 der 3 Frauenhäuser im Kanton Bern. Auch sie bewertet sowohl die Option, gewaltbetroffene Mädchen in Jugendheimen unterzubringen, als auch die Idee, dass die Mädchen vorübergehend in Frauenhäusern unterkommen als «fachlich problematisch». Die Frauenhäuser seien erstens bereits voll, und zweitens nicht auf die Bedürfnisse von schutzsuchenden Mädchen ausgerichtet, so Haller.
Was Marlies Haller an der kantonalen Opferhilfestrategie indes am meisten stört, ist die angestrebte Kostenneutralität. Demnach müsste die Berner Opferhilfe ihr Betreuungsangebot entsprechend der steigenden Nachfrage ausbauen, ohne aber mehr Geld zu erhalten. Dies führt gemäss Marlies Haller unweigerlich zu einem Leistungsabbau.
In der Opferhilfestrategie ist zu lesen, dass Frauenhäuser ihre Funktion dann optimal wahrnehmen können, wenn sie mit einer Durchschnittsauslastung von 75% geführt und finanziert werden. Die beiden Frauenhäuser der Stiftung sind jedoch bereits heute zu 86%, bzw. 91% ausgelastet.
Marlies Haller begrüsst die in der Opferhilfestrategie beabsichtigte Vereinfachung der Strukturen. Das aktuelle Angebot mit 3 Frauenhäusern und 5 Beratungsstellen aufgeteilt auf 3 Organisationen sei zu komplex. Die Nutzung von Synergien würde den Opfern den Zugang erleichtern. Dabei sei es indes sehr wichtig, auch dezentrale Angebote für die Randregionen aufrechtzuerhalten, bzw. auszubauen. Die Opferhilfestrategie sieht stattdessen einige wenige zentrale Beratungszentren vor.
Den Anstoss für die kantonale Opferhilfestrategie gab die damalige BDP-Grossrätin Vania Kohli, welche damals auch Stiftungsrätin der Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Mädchen war. Gemäss Geschäftsleiterin Marlies Haller war dieser Vorstoss im Sinne der Stifung. Leider sei nun lediglich die Strukturidee durchgedrungen, während das Credo der Kostenneutralität eine tatsächliche Bedarfsanalyse verhindert habe, so Haller.
Ausgearbeitet hat die Opferhilfestrategie die Sozialdirektion GSI unter SVP-Regierungsrat Pierre Alain Schnegg. Dass sie nun auch seine Handschrift trägt, sei nicht absehbar gewesen, sagt Haller. Die Stiftung sei von fachlichen Argumenten ausgegangen und nicht von politischen, und dann habe es wohl doch eine Vermischung mit politischen Interessen gegeben.
Die Frist für Stellungnahmen zur Opferhilfestrategie ist abgelaufen. Derzeit ist die GSI daran, die Empfehlungen zu sichten und die Strategie allenfalls noch anzupassen. Gegenüber RaBe wollte die GSI deshalb zum jetzigen Zeitpunkt keine Stellung nehmen.