Giorgia Meloni ist rhetorisch stark, energisch und selbstbewusst. Mussolini bezeichnet sie als «komplexe Persönlichkeit, die im historischen Kontext zu betrachten sei». Die Neofaschistin hat sehr gute Chancen, Italiens nächste Regierungschefin zu werden. Nach dem Rücktritt von Mario Draghi zeichnet sich bei den vorgezogenen Parlamentswahlen vom 25. September 2022 ein massiver Rechtsruck ab.
Giorgia Meloni kommt aus der Jugendorganisation der damaligen neofaschistischen Partei MSI, die sich inzwischen mehrfach umbenannt und einen gewissen Mässigungsprozess durchgemacht hat. Gleichwohl distanziert sich Meloni lediglich taktisch vom Faschismus und verkörpert ein nationalistisches, europafeindliches, Minderheiten ausgrenzendes politischen Programm.
Gemäss Christian Jansen, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Trier mit Schwerpunkt italienische Zeitgeschichte sind Melonis gute Wahlchancen einerseits im italienischen Wahlsystem zu verorten, welches Parteienbündnisse bevorzugt. Melonis Partei Fratelli d’Italia versammelt gemäss Umfragen mit rund 25% nicht viel mehr Stimmen auf sich als die aktuell zweitstärkste linksliberale Demokratische Partei mit 22%. Doch vereint Meloni ein breites Wahlbündnis aus rechten bis rechtsextremen Parteien hinter sich, während die Mittelinks-Parteien sich bis heute nicht zu einem gemeinsamen Wahlbündnis zusammenzuschliessen vermochten.
Einen weiteren Grund für die guten Wahlchancen des Rechtsbündnisses verortet Jansen im Versagen der Mittelinks-Parteien. Mit ihrem neoliberalen Kurs und dem Abbau der Sozialleistungen hätten sie es in den letzten über 10 Jahren verpasst, Antworten auf die drängenden sozialen Fragen zu finden, welche sich mit der Energie- und Wirtschaftskrise noch akzentuiert hätten. Wie in vielen anderen europäischen Ländern würden sich deshalb auch in Italien viele Menschen den rechten Oppositionsparteien zuwenden, welche sich erfolgreich als Parteien verkaufen würden, die sich für die Anliegen des «kleinen Mannes», der «kleinen Frau» einsetzen.
Gemäss Jansen besteht die Gefahr, dass sich unter den Fratelli d’Italia auch Italien in eine illiberale Demokratie verwandeln wird, nach dem Muster der PiS in Polen oder des Fidesz in Ungarn. Weil sich Meloni derzeit bewusst gemässigt präsentiere, seien die tatsächlichen Veränderungen zwar schwierig abzuschätzen. Gleichwohl sei davon auszugehen, dass auch Meloni einen strikt antieuropäischen Kurs verfolgen und allenfalls auch die Gewaltenteilung einschränken werde.