Das Sicherheitspersonal in den Bundesasylzentren wendet übermässige Gewalt an, Geflüchtete werden geschlagen, fixiert oder weggesperrt. Diese Vorwürfe sorgten vor 2 Jahren schweizweit für Schlagzeilen.
Der Bund musste reagieren und veranlasste eine externe Untersuchung durch Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer. Auf Basis dieser Untersuchung schlägt der Bundesrat nun eine Gesetzänderung vor, welche noch bis am 3. Mai 2023 in der Vernehmlassung ist.
Gemäss Bundesrat sollen die Änderungen im Asygesetz die Sicherheit von Mitarbeitenden und Asylsuchenden in den Bundesasylzentren verbessern. Erreichen will der Bund dies unter anderem mit einer Klärung der Zuständigkeiten. Neu soll klar geregelt werden, wofür das Staatssekretariat für Migration SEM zuständig ist und welche Aufgaben das SEM unter welchen Bedingungen an Private übertragen darf. Klar geregelt werden soll auch, welche Disziplinarmassnahmen das SEM wie anordnen darf und wann es polizeilichen Zwang ausüben darf. Viele der Disziplinarmassnahmen sind schon länger in einer Verordnung geregelt, andere sind neu. So zum Beispiel die Möglichkeit, Asylsuchende temporär aus Beschäftigungsprogramme auszuschliessen oder ihnen den Zugang zu den Gemeinschaftsräumen zu verweigern.
Die Flüchtlingsorganisation Solidarité sans frontières SOSF lehnt die vorgeschlagene Gesetzesänderung ab. Sophie Guignard, politische Sekretärin bei SOSF begründet, Repression sei für eine effektive Gewaltprävention grundsätzlich der falsche Ansatz. Im Mittelpunkt jeglicher Gewaltprävention in den Bundesasylzentren müssten stattdessen eine professionelle Betreuung, ein niederschwelliger Zugang zu medizinischer Versorgung und ein würdiger Alltag ohne Einschränkung der Grund- und Menschenrechte stehen. Disziplinierungsmassnahmen, wie die Verweigerung der Teilnahme an Beschäftigungsprogrammen oder eine Kürzung der Sozialleistungen würden den Asylsuchenden die Möglichkeit nehmen, ihren Alltag in einer gewissen Würde zu führen. Insofern erachtet SOSF die Massnahmen als kontraproduktiv, weil sie unter Umständen nicht zu weniger, sondern im Gegenteil zu mehr Gewalt führen.
Disziplinarmassnahmen gegen Asylsuchende soll gemäss Gesetzesvorschlag nur das SEM verhängen dürfen. Private Sicherheitsdienste können den Vollzug unterstützen, falls sie unter anderem eine spezifische Ausbildung und eine kantonale Bewilligung haben, sowie gewisse Qualitätsstandards des SEM einhalten. Die Einhaltung dieser Qualitätsstandards muss das SEM gemäss Gesetz regelmässig überprüfen.
Auch diese, doch sehr viel detaillierteren Vorgaben ans SEM und die privaten Sicherheitsdienste erachtet Sophie Guignard nicht per se als Fortschritt, weil dadurch das Grundproblem bestehen bleibe, dass der Bund sicherheitsrelevante Aufgaben an private, gewinnorientierte Firmen auslagere, welche ihre Kosten so gering wie möglich halten müssten, um an die Aufträge zu kommen.
Niklaus Oberholzer kam in seiner Untersuchung der Gewaltvorwürfe in den Bundesasylzentren vom Sommer 2021 zum Schluss, dass es keine «systematische Gewalt» gäbe. Das sei ja wohl das Minimum, was man erwarten könne, empört sich SOSF in der Vernehmlassungsantwort und kritisiert gleichzeitig, dass die «systemische Gewalt» auch im aktuellen Gesetzesentwurf komplett ausgeblendet werde. Diese äussere sich in systematischen Eingangskontrollen ohne Verdachtsmomente, im Verbot bestimmte Nahrungsmittel ins Zentrum mitnehmen zu dürfen, darin, dass Asylsuchende generell als potentiell gefährlich eingestuft würden und dass die Sicherheitskräfte nicht genügend für den Umgang mit vulnerablen, oft traumatisierten Menschen geschult seien.
Beim Abbau dieser systemischen Gewalt gelte es für eine effektive Gewaltprävention anzusetzen, betont Guignard.