Gestern wurde die Uni Bern erneut besetzt, erneut von einem Kollektiv, dass die Aufmerksamkeit auf die Geschehnisse in Gaza lenken will. Besetzt wurde dieses Mal nicht das versteckte und ruhige Gebäude der Unitobler in der Länggasse, sondern mit dem Hauptgebäude das eigentliche Herz der Universität. Direkt in dessen Eingangshalle skandierten mehrere Dutzend Besetzer:innen «Free, Free Palestine», über dem Haupteingang wehte eine Transparent mit der Aufschrift «All Eyes on Rafah». Die Besetzung stand im Zeichen der kürzlich gestarteten Offensive auf Stadt Rafah im Süden von Gaza. «Die Offensive macht es umso wichtiger, nochmal Sichtbarkeit für das Thema aufzubringen und uns gegen diese Menschenrechtsverletzungen zu positionieren», so Ella Frei vom Besetzer:innenkollektiv.
Mehrere Aktivist:innen hatten in den frühen Morgenstunden die Gebäude besetzt, rund zwei Wochen nach der ersten Unibesetzung, die nach drei Tagen aufgelöst wurden. Die Forderungen blieben die gleichen wie bei der ersten Besetzung: Die Uni solle sich klar gegen Genozid in Gaza positionieren und Israel akademisch boykottieren.
Die Uni zeigte wenig Verständnis für die Besetzung. Diese biete keinen Rahmen für einen Dialog, so der Rektor Christian Leumann in einer Medienmitteilung, die er gestern an alle Studierenden verschickte. Darin wirft die Universität den Aktivist:innen unter anderem vor, den Universitätsbetrieb zu stören, da im Hauptgebäude Prüfungen stattfänden. Dem widersprechen die Besetzer:innen. Den Unibetrieb zu stören sei keineswegs das Ziel der Besetzung, betonte die Aktivistin Amal Salim. «Jedoch sterben jetzt Menschen in Rafah. Im Vergleich dazu ist unsere Besetzung nicht wirklich störend.»
Die Besetzer:innen gaben früh bekannt, die Uni nur für einen Tag besetzen zu wollen und gegen Abend die Räumlichkeiten freiwillig zu verlassen. Die Universitätsleitung hatte ihnen aber trotzdem ein Ultimatum bis 17 Uhr gesetzt. Diese Frist liessen die Besetzer:innen verstreichen. Um 17 Uhr befanden sich noch immer Duzende Aktivist:innen in der Eingangshalle des Hauptgebäudes. Kurz nach 17.30 kam es dann zu einem Konflikt, der vorerst nichts mit der Räumung zu tun hat. Drei Personen näherten sich den Besetzer:innen und beschuldigten diese, sich undifferenziert mit der Hamas zu solidarisieren und Antisemitismus zu bewerben. Sie bedrängten die Besetzer:innen physisch, diese reagierten mit Chorgesängen und skandierten Parolen. In einer heutigen Medienmitteilung sprachen die Besetzer:innen von einem islamophoben Übergriff.
In der Zwischenzeit hatte sich die Polizei um das Gebäude verteilt. Mit mehreren Kastenwägen und schätzungsweise 40 Beamt:innen hatten sie das Gebäude umstellt – genaue Angaben zum Dispositiv wollte die Polizei heute keine machen. Dann ging es plötzlich sehr schnell: Gegen 18.15 kam die Polizei über einen Nebeneingang ins Hauptgebäude, ohne erneute Vorwarnung begann die Räumung. Die Demonstrierenden wurden aus dem Gebäude gedrängt, vor dem Haupteingang war der Durchgang durch eine Reihe von Polizist:innen versperrt. Die Aktivist:innen, die meisten selbst Sudierende, wurden somit direkt beim Eingang ihrer Universität von der Polizei eingekesselt.
Die Universität Bern hatte inzwischen Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch eingereicht – das bestätigte heute die Polizei auf Anfrage. Deswegen nahm die Polizei die Personalien von den rund fünfzig Personen auf. Sie liess die Besetzerinnen anschliessend gehen, Verhaftungen gab es keine. Die Besetzer:innen haben nun aber mit einer Anzeige zu rechnen.
Die Räumung sei ruhig und ohne Zwischenfälle verlaufen, das postete die Kantonspolizei Bern gestern Abend auf der Plattform X. Auch die Universitätsleitung wandte sich gestern erneut an die Medien. Die Besetzung sei inakzeptabel, eine solche Situation nicht tolerierbar. Das Handeln der Aktivist:innen sei nicht konstruktiv. Die Besetzer:innen ihrerseits zeigen sich enttäuscht über das Verhalten der Unileitung. Diese würde Repression statt Dialog wählen. Nach der zweiten Räumung und der Strafanzeige wird offensichtlich: die Fronten zwischen Studierenden und Unileitung haben sich endgültig verhärtet.
Update: Auf Anfrage hat die Universität Bern mitgeteilt, dass bislang wegen solcher Protestaktionen keine Studierenden exmatrikuliert wurden, dies werde auch jetzt nicht der Fall sein.