Mit dem Moutier-Konkordat, das am 22. September zur Abstimmung kommt, soll der Kanonswechsel von Moutier in den Kanton Jura geregelt werden. Darin definiert sind diverse Modalitäten bezüglich kantonaler Dienstleistungen, wie Spitalwesen, Schulen, Justiz und Verwaltung. Die Abstimmung soll dem jahrzehntelangen Konflikt ein Ende setzen und die Jurafrage ein für alle Mal klären. Das Konkordat erarbeitet haben die Regierungen des Kantons Bern sowie des Kantons Jura. Nun sind es die Stimmberechtigten beider Kantone die darüber abstimmen können. Bisher hat einzig die Berner SVP die nein-Parole gefasst.
Ein Kenner des Konfilkts ist Jean-Daniel Ruch. Der ehemalige Botschafter stammt aus dem Berner Jura. Bis 2023 war er Schweizer Botschafter in Ankara und davor in Tel Aviv und Belgrad. Also in Regionen, die von Separatismus und Fragen nach Zugehörigkeit und Identität gezeichnet sind – Zutaten aus denen auch die Jurafrage gemacht ist. Ursi Grimm begab sich sich nach Moutier. Als erstes wollte sie wissen, wie Jean-Daniel Ruch den Kantonswechsel von Moutier betrachtet:
Jean-Daniel Ruch: Ja ich war in der Tat tätig im Balkan und im mittleren Osten. Ich hab immer gefunden, dass in all diesen Identitätskonflikten dieselben Zutaten vorkommen. Natürlich sind sie leider, viel intensiver, vorgekommen im Balkan in den Kriegen der 90er Jahre… furchtbar. Oder im mittleren Osten auch. Aber man findet hier dieselben Zutaten, im Sinne von – ein Teil der Bevölkerung fühlt sich… richtig oder nicht… ja, aber das ist einfach ein Fakt… fühlt sich diskriminiert, ungerecht behandelt von der Mehrheit, das sieht man in manchen Orten. Nachher gibt es ein Gefühl der Identität, das auf Geschichte, Ethnie, Religion, so eine Mischung davon, basiert. Und auch die Identifikation mit einem Gebiet, mit einem Territorium, das mir oder meiner Gruppe gehören soll.
Diese Zutaten findet man ein bisschen überall. Und das ich hier geboren bin, in Moutier, hat mir vielleicht erlaubt Konfliktszenen anderswo besser zu verstehen.
Durch die Jurafrage sind enorme Spannungen innerhalb der Bevölkerung entstanden, was bedeutet das für das Zusammenleben?
Jean-Daniel Ruch: Ich glaube es beruhigt sich. Es war wirklich schlimm in den 70er Jahren, als alles geteilt war. Die Geschäfte waren geteilt, Pro Jura Pro Bern, die Gesellschaft, die Versammlungen, die Fussballclubs. Also der Fussballclub in Moutier war immer neutral, das hat noch geklappt. Aber sonst, die Orchester zum Beispiel, es gab ein Jura Orchester und ein Bern Orchester, und so weiter. Und das ist sehr traurig. Das hat für mich wirklich zu einer Depression des sozialen Lebens beigetragen. Diese gewaltsamen Zeiten, und das war wirklich gewaltsam, in Worten wie in Taten. Gott sei Dank sind diese Zeiten vorbei, das war vor 50 Jahren und die neue Generation ist nicht mehr so fest im Schützengraben, wie es meine Generation noch war.
Sie leben jetzt in Eschert, durch den Kantonswechsel wird die Gemeinde und das Tal, das Grand Val, sozusagen vom Kanton Bern abgeschnitten.
Jean-Daniel Ruch: Vom Kanton Bern?
Von den Verkehrswegen, also man nimmt den Zug in Moutier. Und Moutier wird zur Enklave, oder Exklave, je nach Perspektive. Denken sie, dass das einen Einfluss auf das Zusammenleben hat, oder sind Kantonsgrenzen für die Bevölkerung eigentlich Formalitäten, die keine Bedeutung haben?
Jean-Daniel Ruch: Ja früher gab es einen Zoll, und eine echte Grenze zwischen zwei Kantonen, aber diese Zeiten sind längst vorbei. Das wird keinen grossen Unterschied machen. Die Frage ist: Wie finden wir uns als kleine Minderheit von 4% im Kanton Bern und wie können wir unsere Interessen verteidigen, auch ohne Moutier. Aber ich glaube es ist gut, dass diese Sache gelöst ist. So können wir unser Zusammenleben mit dem alten Kanton, mit der Mehrheit, neu gestalten. Und ich glaube das wird die grosse Herausforderung sein, für uns, die weiterhin im Kanton Bern leben wollen oder leben werden.
Mit kleine Minderheit von 4%, meinen sie französischsprachige Berner:innen oder was meinen sie genau damit?
Jean-Daniel Ruch: Die Bevölkerung des Berner Juras. Also von La Neuveville bis zum Grand Val, eigentlich. Wir sind nur noch 4% und wenn man die Bevölkerung betrachtet, hätte man Anrecht auf einen oder zwei Sitze im Nationalrat oder in der Bundesversammlung. Das haben wir. Wir haben einen Vertreter, dank des guten Willen der SVP, die Manfred Bühler letztes Mal hoch auf der Liste und kumuliert platziert hatten. Und ich glaube das wird wirklich die Frage sein. Wie können wir unsere politische Repräsentation in Bundesbern verbessern.
Dann kommen wir gleich zu Manfred Bühler. Er ist SVP Nationalrat und Gemeindepräsident in Cortébert im Vallon de Saint Imier, dem Sankt Immertal, im Berner Jura. Und wie sie schon sagten, einziger Vertreter des Berner Juras in Bundesbern. Die Abstimmung zum Jurakonkordat ist eigentlich nicht umstritten, aber die Berner SVP ist dagegen. So sagt Manfred Bühler im Regionaljournal des SRF Folgendes:
„Me het i de 1970er Jahr, wo de Kanton Jura isch gründet worde, gseit d Jurafrag isch jetzt beändet. Das Verspräche het me nid iighaute u drum si mir spkeptisch. Drum lehne mirs ou ab us dem Grund, will mer die Vesprächige vo de Separatiste nid glaube. Us Prinzip si mir nid iiverstande, dass me gmeindswiis abstimmt ob me jetzt de Kanton cha wächsle, für üs isch eigetlich s Kantonsgebiet sakrosankt.“
Jean-Daniel Ruch, was denken sie darüber?
Jean-Daniel Ruch: Also, ich glaube alle Schweizer, besonders die Anhänger der SVP werden mit mir einig sein, wenn ich sage: Der Wille des Volkes ist sakrosankt in einer Demokratie wie der Schweiz. Und es ist immer passiert in der Geschichte, dass gewisse Gebiete zu jenem Staat, oder zu einem anderen Staat gehen. Was wichtig ist, ist vor allem, dass es friedlich passiert. In unserem Fall war es leider nicht immer friedlich. Es gibt sogar gewisse Leute die sagen, ohne Gewalt kein Kanton Jura heute. Ich glaube das ist eine Debatte für Historiker. Aber wenn man sich fragt: Ist die Jura Frage gelöst? Dann würde ich sagen, rechtlich und politisch gesehen, ja. Ja sie ist gelöst. Wir konnten alle abstimmen und die neue Grenzziehung entspricht ganz genau dem Willen der Bevölkerung. Das wollen wir in einer direkten Demokratie wie der Schweiz. Jetzt ist die Frage: Was passiert, wenn sich aus irgendeinem Grund die Leute wieder diskriminiert fühlen?
Man darf nicht vergessen, die moderne Jurafrage ist mit der Affäre Möckli entstanden. Das war ein typischer Fall von Diskriminierung der französischsprachigen Minderheit 1947. Ein Jurassier wurde von der Regierung des Kantons Bern für die Infrastruktur ernannt, das heisst, viel Geld. Und der Grossrat hat es verweigert und hat gesagt, Nein, das ist zu wichtig um es einem Jurassier zu geben. Das war wirklich ein Fall der Diskriminierung. Also, ich glaube für den Frieden der Zukunft gibt es ein Rezept: Dass wir uns wohlfühlen im Kanton Bern und dazu sind gewisse Schritte nötig. Insbesondere, meiner Ansicht nach, die politische Repräsentation, der Französischsprachigen, aber auch der Minderheit vom Berner Jura oder vom Grand Chasseral, wie man heute sagt, dass die Interessen und die Repräsentation besser wird, in Bundesbern und auch im kantonalen Bern.
Im Konkordat sind diverse Sachen geregelt, wie das in Zukunft laufen wird, von Spitälern, über Steuern, über Polizei, die ganze Administration. Was passiert, wenn es abgelehnt wird?
Wir sind in einem Vakuum. Denn in der kantonalen Verfassung ist nichts geplant dafür und auch in der Bundesverfassung nicht. Also würden wir in eine dunkle Phase eintreten, eine sehr unsichere Phase. Ich glaube für die Region, für den Kanton und auch für die Schweiz wäre es…. zu sagen, es sei gefährlich ist ein bisschen zu viel, ich denke nicht, dass Leute plötzlich wieder zur Waffe greifen würden, das sicher nicht, aber es würde einfach wieder eine chaotische Periode. Und chaotische Perioden sind nicht gut für die Wirtschaft, sie sind nicht gut für das Zusammenleben, für das soziale Leben. Ich glaube man muss jetzt vernünftig sein und den Willen der Bevölkerung akzeptieren. Schlussendlich geht es darum. Die Bevölkerung von Moutier hat ganz genau gesagt, was sie will und in einer Demokratie soll man den Willen des Volkes respektieren.
Aber ist damit die Jurafrage restlos geklärt?
Wenn die Leute sich wohl fühlen im Kanton Bern, wird es keinen Grund geben, für neuen Separatismus. Das wird definitiv eine Seite sein, die man umschlägt. Es beginnt ein neues Kapitel und in diesem neuen Kapitel wird der Berner Jura und der Grand Chasseral, also die französischsprachige Minderheit im Kanton Bern, ich hoffe, kreativ sein, sie werden teilnehmen, und sie wird von der deutschsprachigen Mehrheit als voller Teil des Kanton Berns betrachtet. Manchmal kann man auch den Eindruck haben, ja diese Jurassier, diese Französichsprachigen, man hat manchmal auch den Eindruck vernachlässigt zu werden. Ich glaube, wir haben eine Aufgabe als Französischsprechende, aber es gibt auch eine Aufgabe auf der Seite der Mehrheit, vielleicht mehr zu tun, um dieses Verständnis und diese Akzeptanz zu ermöglichen.