Butch, Twink, masc, fem, Enby… Die queere Community hat ein ganzes Lexikon eigener Begriffe. Oft sind es Entlehnungen aus dem Englischen. Das ist auch in anderen Sprachen so. Es gibt in manchen Sprachen aber auch die ganz eigenen Wörter, die mit Queerness in Verbindung stehen. Sie helfen zu verstehen, wie Queerness in den jeweiligen Regionen verstanden wird. Eine Sammlung solcher Wörter hat der Künstler und Grafiker Marwan Kaabour mit dem Buch «The Queer Arab Glossary» herausgegeben.
Am Freitagabend liest Kaabour im soso space aus dem Buch. Mit RaBe-Info hat er sich über die Arbeit am Buch und das queere Vokabular im arabischsprachigen Raum unterhalten.
Marwan, du hast das Queer Arab Glossary publiziert – ein Glossar, das alle arabischen Wörter sammelt, die mit Queerness in Verbindung stehen. Wie bist du beim Sammeln dieser Wörter vorgegenagen?
Das Queer Arab Glossary ist das erste Projekt, das aus meiner Forschungsplattform Takweer hervorgegangen ist. Takweer ist eine Instagram-Seite, die ich 2019 ins Leben gerufen habe. Ich will damit die Überschneidung von Queerness und Arabsich-Sein in unserer Geschichte und in unserer Populärkultur erforschen. Sie hat die Form eines Archivs, das ich im Laufe der Zeit aufgebaut habe.
Ich bin dabei so vorgegangen, dass ich mich mit den Followern der Seite ausgetauscht habe. Ich hatte das große Glück, dass die Seite sehr populär wurde. Und in unseren vielen Diskussionen in den Kommentaren und in den Direktnachrichten verwendeten sie manchmal Wörter in ihren eigenen Dialekten, mit denen ich nicht vertraut war.
Wenn mir also manchmal jemand einen Begriff nannte, einen queeren Slang in seinem eigenen Dialekt, mit dem ich nicht vertraut war, wurde ich neugierig. Und so entstand die Idee, die gesamte Sprachlandschaft rund um Queerness zu erkunden.
Wo die verschiedenen arabischen Dialekte ansprichst, die sich ja zum Teil ziemlich unterscheiden: Konntest bestimmte Themen feststellen, bei denen sich das queere Vokabular zwischen den Dialekten besonders unterscheidet?
Ursprünglich hatte ich alle gesammelten Informationen, nach Ländern unterteilt. Dadurch entstanden viele Wiederholungen derselben Wörter gab in bestimmten Regionen. Zum Beispiel in der Levante, darunter fallen der Libanon, Palästina, Syrien und Jordanien. Weil wir dort historisch gesehen ein Land waren, ist unser Dialekt ist sehr ähnlich. Und um diese Redundanz zu vermeiden, wollte ich eine Art neues Kategorisierungssystem schaffen, das nach Dialekt geordnet ist.
Dann bemerkte ich eine sehr spezifische Identität jeder Region, basierend auf der Sprache. Wir sprechen alle über die gleichen Themen. Wir sind alle irgendwie frech und witzig in der Art, wie wir darüber reden. Aber die Art der Metaphern und die Art und Weise, wie wir Sprache verwenden, ändert sich von Region zu Region. Das waren die interessanten Muster, die ich erkennen konnte. Die arabische Sprache ist historisch gesehen sehr poetisch und es war interessant zu sehen, wie diese Poesie in einen queeren Slang eindringt. Sei dies bei liebenswert oder abwertend gemeinten Begriffen.
Nun haben wir über das Sammeln der zahlreichen Wörter gesprochen. Was war denn das erste arabische Wort mit Bezug auf Queerness, das du gelernt hast?
Das ist auch das erste Wort in meiner Einleitung im Buch: «Foufu». Foufou wird in der Levante, hauptsächlich im Libanon, verwendet, und bedeutet Memme. Es ist also kein schönes Wort. Es ist ein Wort, das man verwendet, um einen Jungen oder einen Mann zu bezeichnen, der feminin oder homosexuell ist oder der sich feminin kleidet oder verhält. Und es wird normalerweise dazu verwendet, jemanden zu erniedrigen oder herabzusetzen.
Ich war damals zu jung, um zu verstehen, dass es ein Schimpfwort ist. Der Mann schien verärgert zu sein, als er das zu mir sagte. Ich verstand nicht, warum er verärgert war. Es war also eher Neugier als Scham. Aber als ich älter wurde, begann ich zu verstehen, dass die Art und Weise, wie ich mich verhalte und wie ich mich präsentiere, nicht der der anderen Jungen gleicht.
Da wurde mir klar, dass dieses Wort speziell dazu gedacht war, mich herabzusetzen oder zu erniedrigen, und ich hatte lange Zeit große Angst vor diesen Worten. Aber aufgrund meiner Arbeit mit Takweer und aufgrund der Recherche für das Buch und weil ich die Geschichte, die Etymologie und den Hintergrund vieler dieser Begriffe kenne, empfinde ich Foufou nicht mehr als so beschämend. So auch die anderen Wörter. Durch die Recherche habe ich ihnen sozusagen die Giftigkeit genommen und betrachte sie im Moment eher als wissenschaftliche Daten.
Deine erste Berührung mit queerem Vokabular war also ein abwertender Begriff. In einigen Sprachen ist es ja so, dass solche abwertenden Begriffe von der queeren Community zurückerobert und positiv konnotiert werden. Wie ist das im arabischsprachigen Raum?
Die Leute werden merken, dass das Buch hauptsächlich aus abwertenden Begriffen besteht, weil ich denke, dass man etwas, das anders ist als man selbst, auch als solches identifizieren muss. Und wenn man auf etwas Ungewöhnliches oder Andersartiges stösst, ist die erste Reaktion vieler Menschen leider Angst und Unsicherheit. Und daher stammen viele dieser Wörter.
Ich existiere einfach für mich allein. Ich habe also nicht das Bedürfnis, mich zu identifizieren oder meine Eigenheiten oder meine Sexualität zu identifizieren. Das passiert erst, wenn andere Leute entscheiden, dass sie deine Andersartigkeit hervorheben müssen. Und deshalb denke ich, dass viele der Wörter, die queere Menschen verwenden im arabischsprachigen Raum sowie international Umdeutungen von abwertenden Begriffen sind.
Und hoffentlich eignen wir uns viele dieser Wörter für unsere Gemeinschaft neu an, weil wir manchmal dazu neigen, einfach Fremdwörter wie Englisch oder Französisch zu verwenden, weil wir sie mit mehr Distanz betrachten. Aber ich hoffe, dass das Buch ein Gespräch anregt, in dem wir die arabische Sprache für uns selbst, für die queere Gemeinschaft, zurückerobern.
Im queeren Vokabular drehen sich manche Wörter mehr um Sexualität und manche mehr um Geschlecht. Wenn es um Sexualität geht, ist es wohl in allen Sprachen dasselbe: Man muss neue Wörter dafür finden. Wenn es um Geschlecht geht, lassen manche Sprachen mehr Raum als andere um über die Binarität hinaus zu gehen. Wie funktioniert diesbezüglich das Arabische?
Ich denke, wie bei vielen anderen Sprachen auch, haben wir keinen reichen Wortschatz, um Menschen zu bezeichnen, die ausserhalb der binären Geschlechterordnung stehen. Es gibt viele Wörter, um Männer und Frauen oder männliche Frauen oder weibliche Männer zu bezeichnen. Das sind die Klassiker. Mir sind aber auch Wörter begegnet, die den Raum zwischen den beiden Geschlechtern auf eine Weise betonen, die ich sehr schön und poetisch finde. Zum Beispiel gibt es im Maghreb ein Wort namens «La-hu, La-hu», was «weder dies noch das» bedeutet. Das lässt so viel Raum für Spekulationen, man muss es nicht festnageln. Diese Wörter können abwertend verwendet werden, aber manchmal auch auf liebevolle Weise. Hoffentlich ermöglicht dieses es Buch, denjenigen in der queeren Community, die nicht schwul oder lesbisch sind, ihre eigene einzigartige Erfahrung identifizieren zu können. Ohne dass es nur eine Übersetzung eines englischen Wortes ist.
Und zum Schluss nimmt mich natürlich Wunder: Was ist dein Lieblingswort aus dem Buch?
Das ist, als würdest du mich bitten, mein Lieblingskind auszuwählen. Das ist sehr schwierig. Ich nenne zwei. Das erste kommt aus Marokko: «Chaisuu-l-ma’», was so viel bedeutet wie «vom Wasser berührt». Damit wird auf die Tatsache verwiesen, dass queere oder feminine Männer normalerweise beim Gehen schwanken, genau wie Wasser. Und es ist vielleicht abwertend gemeint, aber ich finde, es ist ein unglaublich schönes Bild, das die Vorstellung heraufbeschwört, dass man von schwulem Wasser gesegnet oder getauft wurde.
Und das letzte Wort kommt aus Tunesien: «Shawayya». Es bedeutet Grillrost. Es bezieht sich auf einen versatilen schwulen Mann, denn genau wie Fleisch auf einem Grillrost muss man ihn ab und zu umdrehen.
Die Lesung von Marwan Kaabour findet am Freitag 15. November, 21h im soso space statt.