Von
am
19. September 2025
Migrationserinnerungen zwischen Löffel und Lasagne
Das Gosteli-Archiv in Worblaufen ist auf der Suche nach Frauenbiographien mit Migrationsgeschichte. (Bild: https://www.gosteli-archiv.ch/de/das-archiv)

Ein kleiner Löffel mit einer Erdbeere am Stiel, ein vergilbtes Borotalco-Döschen, die Zutaten für eine Lasagne nach Nonna-Rezept. Es sind unscheinbare Alltagsgegenstände, die im Gosteli-Archiv auf einem Tisch stehen. Daneben liegt Francesca Petrarcas «Buch No grazie, non fumo».

Die Autorin und Buchgestalterin liest daraus vor und zeichnet anhand der Objekte die Geschichte ihrer Grossmutter nach. In den 1950er-Jahren kam Petrarcas Nonna allein aus Italien in die Schweiz. Sie war Teil der sogenannten Saisonnier-Geschichte der Schweiz.

Rund ein Drittel der Einwandernden in die Nachkriegsschweiz waren Frauen, die meisten von ihnen erwerbstätig. Migrantische Arbeitskräfte stützten die Schweizer Wirtschaft jener Zeit, viele jedoch erfuhren strukturelle Ausgrenzung. Aufenthaltsbewilligungen waren begrenzt, Familien oft durch die Regelungen des Schweizer Saisonnierstatut getrennt.

Francesca Petrarca betont, dass das Porträt ihrer Grossmutter nur im politischen Kontext vollständig zu verstehen sei. So erklärt etwa Historikerin Flavia Grossman während der Lesung das Saisonnierstatut: die Vergabe von Kurzaufenthaltsbewilligungen an ausländische Arbeitskräfte – oder die Illegalisierung der mitgebrachten Kinder in der Schweiz.

«Migrationsgeschichte ist Teil der Schweizer Geschichte.»
Simone Isler Co-Leiterin des Gosteli-Archivs

Das Publikum zeigt sich sichtlich bewegt. Einige erinnern sich an ähnliche Biografien in der eigenen Familie oder an Bekannte, die wie Petrarcas Nonna in die Schweiz migrierten, um zu arbeiten.

«Mit der Lesung wollten wir Menschen erreichen, die bisher noch nie im Gosteli-Archiv waren», sagt Simona Isler, Co-Leiterin des Archivs. Besonders die Migrationsgeschichte von Frauen stehe im Fokus. Denn Frauen seien ein wichtiger Teil dieser Geschichte, aber ihre Erfahrungen seien weniger gut dokumentiert – auch, weil sie im öffentlichen Raum seltener sichtbar waren.

Neben Nachlässen von migrierten Frauen, möchte das Archiv auch Bestände von Migrantinnen-Organisationen, die sich kulturell oder politisch zusammengeschlossen haben archivieren. «Es ist wichtig zu verstehen, dass Migrationsgeschichte kein separates Kapitel ist», betont Isler. „Sie ist Teil der Schweizer Geschichte.»

00:00
00:00
Herunterladen
Teilen
Rabe
Radio Bern: RaBe Sulgenrain 28, 3007 Bern,
rabe@rabe.ch
Studio:
031 330 99 99
,
studio@rabe.ch