Der Fluss, die Berge, das Meer: Für die indigene Philosophin Elisa Loncon lebendige Subjekte. Weil die Natur genau so lebendig sei wie wir Menschen, müsse die Natur auch Rechte haben wie wir Menschen. «Um ein gutes Leben für alle zu ermöglichen, ist es notwendig, der Natur gewisse Rechte zuzuschreiben», so Loncon.
Die koloniale, kapitalistische Ideologie, die die Natur als ausbeutbare Ressource sieht, habe uns in die Klimakrise gebracht. Was es brauche, um der Krise entgegenzutreten, sei eine andere Denkweise.
«Es braucht eine Dekolonialisierung des Wissens, auch hier in der Schweiz», so Loncon. Die Schweiz müsse Verantwortung übernehmen für die eigene koloniale Vergangenheit. Und, man müsse anerkennen, dass es andere Denkweisen gebe als die westlich-kapitalistische.
Indigenes Wissen helfe, die drängendsten Konflikte der Gegenwart anzugehen und eine Welt mit mehr Respekt für die Natur und für uns selbst zu schaffen. «Dadurch lässt sich das gute Leben für alle, das Buen Vivir, realisieren.»
Tatsächlich hat dieses indigene Wissen des Buen Vivir in den letzten Jahrzehnten Einzug in die südamerikanische Politik gefunden. Indigene Gruppen aus Ecuador und Bolivien haben es geschafft, dass das Konzept in die Verfassung aufgenommen wird.
In Chile ist der Versuch, die Rechte der Natur in die Verfassung aufzunehmen, gescheitert. Chiles Verfassung stammt aus der Feder des Diktatoren Augusto Pinochet. Die chilenische Bevölkerung hat vor fünf Jahren an der Urne deutlich gemacht, dass sie eine neue Verfassung wolle. Daraufhin wurde ein verfassungsgebender Rat ins Leben gerufen, mit fixen Quoten für Frauen und Indigene. Elisa Loncon war Präsidentin des Rates. Der Rat schrieb einen progressiven Verfassungsvorschlag, wohl zu progressiv für die chilenische Bevölkerung: Der Vorschlag wurde abgelehnt.
Für Elisa Loncon war der Prozess trotzdem wichtig: «Es hat durch den verfassungsgebenden Prozess Allianzen zwischen Frauen, Indigenen, Umweltaktivist:innen und progressiven Kräften in Chile gegeben.»
Für die Weltgemeinschaft in Zeiten der Klimakrise hält Elisa Loncon das indigene Konzept des Buenvivir für wichtiger denn je. Die Klimakrise weise darauf hin, wie sehr wir im Ungleichgewicht mit der Natur leben. Ihr Ausweg: Eine Dekolonialisierung des Denkens, ein Wertschätzung des Lebendigen, und Rechte für die Natur.
Elisa Loncon spricht dieses Wochenende in Bern über die Denkweise der Mapuche als Widerstandsform gegen Kapitalismus und Klimakrise. Heute Freitag spricht sie um 17 Uhr auf einem Podium im Mehrzweckraum der französischen Kirche in Bern. Morgen Samstag gibt es ein Werkstattgespräch auf Spanisch mit Flüsterübersetzung ab 11.15 im Kulturzentrum PROGR. Organisiert werden die Veranstaltungen von der Zeitschrift Neue Wege.