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1. September 2025
Velokurier*innen wehren sich gegen Massenentlassung
Norma Mortensen / Pexels
Foto: Norma Mortensen / Pexels

Irgendwo in der Stadt bestellt jemand auf dem Smartphone Sushi, wenig später schwingt sich am anderen Ende der Stadt ein*e Kurier*in vom hauseigenen Kurierdienst im neonorangen Dress aufs Velo, um die gewünschte Mahlzeit vor die Haustür zu bringen. In den Städten Bern, Zug, Basel, Winterthur oder Zürich, wo die Familie Wiesner Gastronomie (FWG) Restaurants betreibt, gehört das Bild zum Alltag. Diesen Herbst könnte aber Schluss damit sein: Die FWG will den hauseigenen Lieferdienst, den das Unternehmen seit 2011 betreibt, aus strategischen Gründen einstellen. Bereits Ende Oktober soll Schluss sein.

Die Lieferungen sollen stattdessen von grossen Plattform-Anbietern wie Uber Eats oder Just Eat ausgeliefert werden. «Wir hätten uns natürlich gewünscht, dass unsere Arbeitsplätze erhalten bleiben und nicht an doch sehr fragwürdigen Dienstleister ausgelagert werden», sagt ein betroffener Velokurier aus Bern im Gespräch mit dieser Redaktion.

«Dass die FWG endlich klare Ansagen macht, ist dem Druck der Kurierenden zu verdanken.»
Sonia Brechbühl Gewerkschaft Syndicom

Verärgert sind die Velokurier*innen nicht nur über die Entscheidung ihres Arbeitgebers, sondern auch über dessen Vorgehen: «Wenn der Erhalt dieser Arbeitsplätze nicht möglich ist – und dieser strategische Entscheid wurde offenbar getroffen – dann hätten wir uns eine klarere und zeitnahere Kommunikation gewünscht.» Stattdessen habe die FWG erstmals Ende Juni über die Lage im Delivery-Bereich informiert und Massnahmen wie die Streichung von Schichten angekündigt. Im Verlauf des Sommers kam es dann schrittweise zu Kündigungen. Über den Entscheid, dass der Lieferdienst ganz eingestellt werden soll, informierte das Unternehmen erst Ende August. Der betroffene Velokurier spricht von einer Salami-Taktik.

Dass die FWG nun Klartext spreche, liege daran, dass sich die Velokurier*innen gewerkschaftlich organisiert haben und sich in einem Brief an die Unternehmensspitze gewandt haben, sagt Sonia Berchbühl von der Gewerkschaft Syndicom: «Dass die FWG endlich klare Ansagen macht, ist dem Druck der Kurierenden zu verdanken.»

«Wir fordern für alle Betroffenen eine finanzielle Entschädigung – auch für jene, die schon vor einigen Monaten gekündigt wurden»
Anonym betroffener Velokurier

Zusammen mit der Gewerkschaft Syndicom haben sie sich organisiert, um ihre Forderungen an die FWG zu stellen. «Wir fordern für alle Betroffenen eine finanzielle Entschädigung von 24 Monatslöhnen als Verhandlungsbasis – auch für jene, die schon vor einigen Monaten gekündigt wurden», sagt der betroffene Kurier. Zu den weiteren Forderungen gehört die soziale Absicherung im Fall eines Betriebsübergangs oder interner Versetzung, eine Übernahme der Anstellungsbedingungen sowie Lohnsicherheit für die nächsten 24 Monate. Für jene, die es aufgrund ihrer Deutschkenntnisse schwer haben, eine neue Stelle zu finden, forden die Angestellten ausserdem kostenlose Deutschkurse und Jobcoachings.

Diese Forderungen können die Velokurier*innen nun in einem Konsultationsverfahren anbringen. Die Familie Wiesner Gastronomie verhandelt in diesem Verfahren mit den Angestellten und der Gewerkschaft Syndicom über das weitere Vorgehen.

Das sagt die Familie Wiesner Gastronomie

RaBe-Info hat das Unternehmen Famile Wiesner Gastronomie mit der Vorwürfen der Belegschaft und von Syndicom konfrontiert und sie um eine Stellungnahme gebeten. Das Unternehmen nimmt wie folgt Stellung:

«Am 30. Juni 2025 haben wir allen Kurier*innen die schwierige wirtschaftliche Lage in einem Zoom-Meeting und auch schriftlich mitgeteilt. Wir haben damals klar gesagt, dass Massnahmen auf den Herbst umsetzen müssen, damit wir eine Chance haben rentabel zu werden.
Der Entscheid, ein Konsultationsverfahren zu einer möglichen Schliessung aller vier Delivery-Betriebe zu eröffnen, wurde dann am 27. August 2025 offiziell kommuniziert.

Wir haben unseren eigenen Kurierdienst vor 14 Jahren aufgebaut und waren damit Pioniere in der Schweiz. Heute ist das Marktumfeld ein anderes: neue, grosse Anbieter wie Uber Eats und eat.ch haben den Markt stark verändert. Trotz verschiedener Massnahmen ist es uns nicht gelungen, den Dienst auf eine wirtschaftlich tragfähige Basis zu stellen. Wir schreiben mit unserem eigenen Kurierdienst seit einiger Zeit Verluste. Deshalb beabsichtigen wir, unsere Kurierbetriebe per Ende Oktober aufzugeben. Der Entscheid ist noch nicht definitiv – aktuell läuft das Konsultationsverfahren. Jede Stadt wird dabei einzeln geprüft.

Am 30. Juni 2025 haben wir allen Kurierinnen die schwierige wirtschaftliche Situation per Zoom-Meeting erläutert und Massnahmen wie Reduktionen von Schichten auf den Herbst angekündigt.
Im Juli und August gab es verschiedene Meetings und Austausche mit einigen Städten. Zudem waren wir mit lokalen Velokurierfirmen in Zürich (Ultrakurier) und Bern (ICC) im Gespräch über Kooperationen im Gespräch.
Wir haben seither fortlaufend Gespräche angeboten. Am 17. Juli haben wir Syndicom mehrere Terminvorschläge gesendet, doch erst am 19. August fand ein erstes Treffen mit Gewerkschaften und einer Delegation der Kurier*Innen und statt. Leider haben sich im konstruktiven Austausch keine wirtschaftlich tragfähigen Lösungen für einen eigenen Kurierdienst ergeben.

Wir haben uns nie gegen einen Sozialplan gewehrt. Unser erstes Ziel war es, den Kurierdienst zu erhalten, sodass es gar keinen Sozialplan braucht. Deshalb haben wir seit Monaten verschiedene Alternativen geprüft und waren wir mit möglichen Partnern im Gespräch, etwa über Kooperationen mit anderen Velokurier-Firmen oder durch Anpassungen bei den Schichten. Als wir die Reduktion der Schichten kommunizierten, haben wir gleichzeitig bereits verschiedene Unterstützungsmassnahmen aufgegleist:

  • Interne Bewerbungsmöglichkeiten, auch für neue Standorte und bestehende Restaurants

  • Enge Begleitung durch unseren Recruiter bei Wechsel-Wünschen

  • Persönliche Gespräche mit allen Mitarbeitenden mit über 50 % Pensum

  • Unterstützung beim Zwischenverdienst

  • Beratungsgespräche, Jobcoaching, Outplacement

  • Deutschkurse für Mitarbeitende ohne gute Sprachkenntnisse

  • Psychologische und rechtliche Unterstützung durch unseren Partner Lyra

Für uns war immer klar: Wenn es tatsächlich zu Massenentlassungen kommt, wird es selbstverständlich auch einen Sozialplan geben. Zusätzlich werden wir als Sofortmassnahme einen Härtefallfonds von CHF 50'000 zur Verfügung stellen. Von den rund 120 Kurier*innen arbeiten 51 unter 20% und 45 zwischen 20% und 40%. Der Härtefallfonds richtet sich insbesondere an die 26 Personen mit über 40% Pensum sowie an jene, die Kinder haben.»

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