RaBe-Info
Von
Noah Pilloud
am
4. März 2025
Asylsuchende erwaten in Griechenland prekäre Bedingungen
Ein Lager von Geflüchteten auf Samos. (Foto: jtstewart, Flickr)

An der EU-Aussengrenze werden die Probleme des europäischen Asylwesens besonders sichtbar. So etwa auf den Ägäis-Inseln im Osten Griechenlands, wo die Berner Rechtsanwältin Annina Mullis durch ihre Tätigkeit mit der Realität an der europäischen Aussengrenze konfrontiert ist. Mullis ist seit 2022 beim Legal Centre Lesvos auf der Insel Lesbos tätig und ist Mitglied bei den Demokratischen Jurist*innen Schweiz. «Wir sehen Pushbacks, Grenzgewalt und Kriminalisierung von Menschen auf der Flucht», berichtet Mullis. Ausserdem nehme sie strukturelle Defizite im Asylverfahren und der Unterbringung wahr. Dazu nennt sie ein Beispiel aus dem Camp auf Lesbos: «Laut Messungen steigt die Temperatur des Warmwassers hier nur auf 18°C.»

«Auf den Ägäis-Inseln ist die Bewegungsfreiheit für Asylsuchende stark eingeschränkt.»
Annina Mullis Juristin

Die Demokratischen Jurist*innen Schweiz haben gemeinsam mit dem Legal Centre Lesvos und den Samos Volounteers ein Gutachten erstellt, das die Risiken und Bedingungen, denen Asylsuchende, insbesondere Dublin-Rücküberstellte, in Griechenland ausgesetzt sind, bewertet. Auslöser für das Gutachten war mitunter die Entscheidung des Staatssekretariats für Migration (SEM), in geringem Masse wieder Aussschaffungen nach Griechenland im Rahmen der Dublin-Verordnung durchzuführen. Die Dublin-Verordnung legt fest, welches Land ein Gesuch einer asylsuchenden Person prüfen muss. In den meisten Fällen ist es dasjenige Land, in das die antragsstellende Person als erstes einreiste. Ist die Zuständigkeit geklärt, finden Dublin-Ausschaffungen in das jeweils zuständige Land statt.

Im Jahr 2011 verurteilten zwei europäische Gerichte die Zustände für Asylsuchende in Griechenland als unmenschlich und erniedrigend. Die europäischen Länder führten in der Folge keine Dublin-Ausschaffungen nach Griechenland mehr durch. In den letzten Jahren sind die Zahlen der Rücküberführungen jedoch wieder leicht angestiegen.

Geflüchtete wehren sich gegen die Dublin-Ausschaffungen nach Griechenland

Wie andere europäische Länder hat auch die Schweiz wieder damit begonnen, eine geringe Zahl von Dublin-Ausschaffungen durchzuführen. Eine Gruppe betroffener Geflüchteter aus der Türkei will sich nun dagegen wehren. Sie haben sich unter dem Namen «Stop Dublin Greece» organisiert. Wir haben im RaBe-Info vom 10. Februar darüber berichtet.

Laut dem Gutachten der Demokratischen Jurist*innen Schweiz, des Legal Centre Lesvos und den Samos Volounteers ist die Grundlage dafür jedoch nicht gegeben. «Wir stellen lange Vezögerungen bei der Registrierung und der Bearbeitung von Asylgesuchen fest», sagt Annina Mullis, die am Gutachten beteiligt war. Aktuell würden etwa Interviewtermine über Monate immer wieder verschoben, weil es zu wenig Übersetzer*innen gebe. «Auf den Ägäis-Inseln wie Lesbos oder Samos ist die Bewegungsfreiheit für Asylsuchende stark eingeschränkt», führt Mullis die Probleme im griechischen Asylsystem weiter aus.

Dass die Zahlen der Dublin-Ausschaffungen trotz dieser Defizite wieder angestiegen sind, hat mit einer Empfehlung zu tun, die die Europäische Kommission im Jahr 2016 erlassen hat. In dieser Empfehlung erachtet die EU-Kommission Ausschaffungen nach Griechenland dann als zulässig, wenn sich das entsprechende Land garantieren lässt, dass die ausgeschaffte Person Zugang zum Asylverfahren hat. «Diese Garantien garantieren in ihrem Wortlaut aber nicht den Zugang zum Asylverfahren, sondern lediglich, dass die Personen darüber informiert werden, an welche Stelle sie sich richten müssen», kritisiert Annina Mullis.

«Die Aufrechterhaltung der prekären Lebensbedingungen ist vor dem Hintergrund allgemeiner Migrationsabwehr zu verstehen.»
Annina Mullis Juristin

Wie die beiden Gerichtsurteile aus dem Jahr 2011 als auch ein Urteil des Europäischer Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem vergangenen Jahr besagen, sind die ausschaffenden Länder dazu verpflichtet, die Bedingungen im Aufnahmeland genau zu überprüfen. «Mit diesen Garantien wird diese Pflicht aber nicht erfüllt», sagt Mullis.

Für die Juristin ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich die Kritik nicht gegen ein angebliches Unvermögen Griechenlands richtet: «Die Aufrechterhaltung der prekären Lebensbedingungen, beziehungsweise die Zuspitzung der Isolation und der Kontrolle, sind meines Erachtens nicht Ausdruck eines Unvermögens, sondern vor dem Hintergrund allgemeiner Migrationsabwehr zu verstehen.»

Für Annina Mullis ist klar: Wer sicherstellen will, dass eine Person Zugang zu menschenrechtskonformen Unterbringungsbedingungen und zu einem fairen Asylverfahren hat, führt keine Rückführungen nach Griechenland durch.

00:00
00:00
Herunterladen
Teilen
Rabe
Radio Bern: RaBe Randweg 21, 3013 Bern,
rabe@rabe.ch
Studio:
031 330 99 99
,
studio@rabe.ch