Es war ein Fiebertraum. Erstarrt sass ich vor vier Jahren vor dem Bildschirm. Zuerst auf Twitter, dann bei den Livestreams verschiedener US-Fernsehsender. Wegschauen war unmöglich. Sich mit etwas anderem Beschäftigen war unmöglich. Die Geschehnisse rund um das Kapitol in Washington D.C. entwickelten einen Sog, der mich mitriss.
Was da passierte war unglaublich, ja eigentlich zuvor unvorstellbar. Da versuchte ein aufgepeitschter Mob das Parlament zu stürmen, um zu verhindern, dass die beiden Parlamentskammern das Resultat der Präsidentschaftswahl formell bestätigten. Es war ein versuchter Staatsstreich. Auch jetzt, genau vier Jahre danach, kann man das nicht stark genug betonen. Denn seither, so scheint es manchmal, herrscht wieder Courant normal. Der Sturm aufs Kapitol: Bloss noch eine Anekdote. Der Mann der mutmasslich mitverantwortlich war: Der wird in zwei Wochen als 47. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt.
Dabei ist es eine Zäsur, was damals geschah. Dass eine wütende Menge versuchte ein Parlamentsgebäude zu stürmen, war zwar nichts Neues. Das hatte es zuvor auch schon gegeben; während der Corona-Proteste in Berlin zum Beispiel. Doch dass dies gelang, sorgte für Bilder, deren Wirkmacht nicht zu unterschätzen ist. Plötzlich erschienen demokratische Institutionen schwach und angreifbar. Und das wiederum macht für viele den Autoritarismus attraktiver.
Der Sturm aufs Kapitol vom 6. Januar 2021 hatte ein langes Echo. Noch heute glaubt rund ein Drittel der US-Amerikaner*innen, dass Joe Biden die Wahl 2020 nur dank Wahlbetrug gewonnen hat. Eine Behauptung, für die es keine Beweise gibt.
Doch auch weltweit hallte und hallt der 6. Januar nach. So kam es etwa in Brasilien zwei Jahre später zu ähnlichen Szenen. Und in manchen demokratischen Staaten hat sich der Ton in den vergangenen vier Jahren verschärft. Demokratische Institutionen und Prozesse werden in einer nie zuvor dagewesenen Offenheit angezweifelt – ganz ohne Faktengrundlage. Jüngstes Beispiel: Unterstützer*innen des Südkoreanischen Präsidenten Yoon halten neuerdings bei Demonstrationen Schilder mit dem Satz «Stop The Steal» in die Luft. Der Slogan wurde von den Trump-Anhänger*innen nach der Wahl im November 2020 benutzt.
Und in der Schweiz? Hier ist zwar nicht die Rede von gestohlenen Wahlen und das von Verschwörungserzählungen geprägte Milieu hat seit der Pandemiezeit deutlich an Einfluss verloren. Doch relativiert werden die Ereignisse von vor vier Jahren auch hier. Ausgerechnet von jenen Politiker*innen, die sich als Staatstragend verstehen. Der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen beispielsweise verglich den Sturm aufs Kapitol mit der Besetzung des Bundesplatzes durch Klimaaktivist*innen. Ein völlig an den Haaren herbeigezogener Vergleich und eine beispiellose Verharmlosung des versuchten Staatsstreichs in den USA.
Und nicht zuletzt liess sich SVP-Bundesrat Albert Rösti letzten Herbst zur Aussage hinreissen, er würde eher Trump wählen. Wir erinnern uns: Jenen Mann, der mutmasslich für den Sturm aufs Kapitol mitverantwortlich ist.