Das Zentrum Paul Klee zeigt ab morgen die erste Schweizer Einzelausstellung von Anni Albers. Albers ist eine der bedeutensten Künstlerinnen und Designer:innen im 20. Jahrhundert. In ihrem Schaffen verband Albers Kunst, Textildesign und Architektur. Albers Lebensweg war bewegt: Geboren 1899 in Deutschland, ausgebildet am Bauhaus, nach Hitlers Machtergreifung dann die Emigration in die USA.Berühmtheit erlangte Albers durch ihre Webkunst. Sie war die erste Textilkünstlerin, der am Museum of Modern Arts (MoMA) in New York eine Einzelausstellung gewidmet war. Nun sind Albers architektonische Interventionen im Zentrum Paul Klee zu sehen. Fabienne Eggelhöfer hat die Ausstellung kuratiert, wir haben uns mit ihr unterhalten.
Rabe Info: Wie kam Anni Albers zur Weberei?
Fabienne Eggelhöfer: Wie die meisten Frauen, die am Bauhaus studieren wollten, wurde sie automatisch in die Weberei-Werkstatt verwiesen. Sie selbst beschreibt, dass das nicht ihre eigene Wahl war. Aber nachdem sie gelernt hatte, die Sprache der Fäden zu sprechen, sei sie extrem glücklich mit diesem Medium geworden. So schildert sie ihren Einstieg.
Rabe Info: Albers musste nach der Machtergreifung Hitlers 1933 Deutschland verlassen. Was waren die Gründe?
Fabienne Eggelhöfer: Anni Albers kam aus einer Familie mit jüdischem Hintergrund. Sie war protestantisch aufgewachsen und selbst nicht religiös, doch unter den Nationalsozialisten war sie gefährdet. Als sie gemeinsam mit ihrem Mann Josef Albers das Angebot bekam, am neu gegründeten Black Mountain College in North Carolina zu unterrichten, nutzten sie diese Gelegenheit, Deutschland zu verlassen.
Rabe Info: Anni Albers war eine Vertreterin des Bauhaus. Was genau hatte das Black Mountain College mit der Idee des Bauhaus gemeinsam?
Fabienne Eggelhöfer: Das Black Mountain College war ebenfalls eine neu gegründete Schule, an der Gestaltung eine zentrale Rolle spielte. Eine wichtige Devise war Learning by Doing. Das hat Anni Albers angesprochen, weil es ihr immer darum ging, im Prozess etwas zu entwickeln, und nicht einfach eine fixe Idee umzusetzen. Als sie ans College kam, hatte sie ihren Webstuhl aus Deutschland mitgebracht. In ihren Kursen sagte sie den Studierenden: „Versetzt euch in die Rolle der Urmenschen. Ihr habt nichts. Wie würdet ihr beginnen, eure Kleidung herzustellen?“. Da das College wenig Geld hatte, arbeiteten sie mit dem, was sie fanden, machten Materialstudien und erforschten, wie Materialien wirken, wenn man sie kombiniert, wie dadurch Strukturen entstehen.
Rabe Info: In den USA begann Albers künstlerisch zu arbeiten. Sie nannte das später Pictorial Weavings, zu Deutsch Bildweberei. Was ist bei dieser Bildweberei zentral?
Fabienne Eggelhöfer: Bis dahin hatten ihre Arbeiten meist eine dienende Funktion. Sie sollten nachhaltig, sparsam und nützlich sein. Mit den Bildwebereien befreite sie sich von dieser dienenden Rolle. Ihr ging es darum, mit ihren Textilien in Richtung Kunst zu arbeiten. Diese Werke waren einfach zur Betrachtung gedacht, also Kunstwerke. Dadurch konnte sie viel freier experimentieren, neue Webstrukturen ausprobieren und mit unterschiedlichsten Materialien arbeiten.
Rabe Info: Anni Albers wurde dann beauftragt, ein Mahnmal für die Verstorbenen des Holocaust zu schaffen. Sie kreierte ein Kunstwerk mit dem Titel Six Prayers. Wie wichtig war diese Arbeit in ihrem Leben?
Fabienne Eggelhöfer: Das Jewish Museum hatte die Tradition, jedes Jahr eine Künstlerin oder einen Künstler einzuladen, ein Werk zum Gedenken an die Holocaust-Opfer zu schaffen. Albers war die erste Weberin, die als Künstlerin von einem so renommierten Museum angefragt wurde. Mit Six Prayers – also sechs Paneelen, jedes stellvertretend für eine Million der Toten – setzte sie das um. Für sie war das eine sehr bedeutende Arbeit, weil sie sich damit auseinandersetzte, wie man Grausamkeit künstlerisch übersetzen kann. Sie arbeitete mit freifliessenden Fäden, die kalligrafisch oder hieroglyphisch wirken; vielleicht eine abstrakte Darstellung der Namen all dieser Toten.
Rabe Info: In ihren späteren Lebensjahren hat sich Albers intensiver mit der Druckkunst beschäftigt. Wie kam es zu dieser Abwendung von der Webkunst hin zur Druckkunst?
Fabienne Eggelhöfer: Ihr Mann wurde eingeladen, im Tamarind Workshop in Los Angeles Druckgrafiken zu machen. Sie scherzte, sie sei nur das Anhängsel. Aber eine Mitarbeiterin fragte sie, ob sie nicht selbst etwas ausprobieren wolle. So begann sie mit Drucktechniken zu experimentieren und arbeitete damit bis zu ihrem Lebensende weiter, auch zeichnerisch. Für sie war das eine Art Befreiung, denn der Webstuhl ist ja immer durch horizontale und vertikale Fäden bestimmt, ein Raster also. In ihren grafischen Arbeiten konnte sie dieses Raster überwinden, was ihr entsprach.
Rabe Info: Für Anni Albers war es wichtig, wie ein Textil im Raum wirkt. Wie haben Sie Textilien, die ja meist für einen spezifischen Raum konzipiert sind, in dieser Ausstellung im Zentrum Paul Klee integriert?
Fabienne Eggelhöfer: Wir haben sechs Beispiele ausgewählt, die das Zentrum der Ausstellung bilden. Dazu zeigen wir grossformatige Fotografien, die ihre Textilarbeiten im architektonischen Kontext zeigen. Wenn es möglich war, haben wir auch Skizzen oder Muster einbezogen, die sie für die jeweilige Aufgabe entwickelt hatte. So wird sichtbar, wie sie überlegte:, wie ein Textil dem Raum dienen kann. Jedes Projekt hat seinen eigenen Grund, warum es so aussieht. Auf diese Weise kann man sehr gut nachvollziehen, wie Anni Albers gearbeitet hat.
Die Ausstellung «Constructing Textiles» feiert heute um 18 Uhr im Zentrum Paul Klee Vernissage. Die Ausstellung läuft bis Ende Februar.