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18. August 2025
Politischer Richtungswechsel in Bolivien

Bolivien hat am Wochenende gewählt. Stand heute hat keiner der Kandidaten das absolute Mehr erreicht. Somit wird es am 19. Oktober zur Stichwahl zwischen zwei Kandidaten kommen. Doch nach fast zwei Jahrzehnten sozialistischer Regierung hat es kein linker Kandidat in die Stichwahl geschafft. In die Stichwahl gehen voraussichtlich Senator Rodrigo Paz Pereira von der christlichen Mitte-Partei Partido Demócrata Cristiano und Ex-Präsident Jorge Quiroga von der rechtsgerichteten Partei Libertad y Democracia.

Julián Rodriguez Ugolini ist Bolivianisch-Schweizerischer Doppelbürger und sitzt für die SP im Bieler Stadtrat. Gestern reiste er nach Genf ins Wahlstudio für die Bolivianische Diaspora in der Schweiz und hat die Wahlen auf sich wirken lassen. Als Erstes habe ich ihn gefragt, wie denn die Stimmung in Bolivien derzeit sei.

Julián Rodriguez Ugolini: Ja, in Bolivien ist die Situation ziemlich angespannt, und das Land hat seit längerer Zeit eine wirtschaftliche Krise, die schon lange nicht mehr so stark aufgetreten ist. Es gibt einen Mangel an Währungen, also man bekommt kaum Dollar. Ja, auf dem informellen Markt hat die Währung fast die Hälfte des Wertes verloren. Es gibt entsprechend auch einen Mangel an Benzin, weil dieses importiert werden muss, mit Dollar. Und einige Lebensmittel sind im Preis doch stark gestiegen. Das heisst, die wirtschaftliche Situation ist wirklich sehr angespannt und politisch ist es auch sehr chaotisch. Die Parteien waren sehr schlecht vorbereitet auf diese Wahl. Es gab ständige Wechsel bei den Kandidaturen, es gab viele Leute, die die Partei gewechselt haben. Bis vor wenigen Wochen wusste man teilweise wirklich einfach nicht, was passieren könnte. Entsprechend, ja, ist die ganze Situation ziemlich angespannt und etwas chaotisch.

RaBe-Info: Es sind sehr unruhige Zeiten in Bolivien. Letztes Jahr gab es auch einen Putschversuch, der scheiterte. Und wie sie eben erwähnt haben, das Land leidet unter einer schweren Wirtschaftskrise. Inwiefern sind dann die politischen und wirtschaftlichen Probleme in Bolivien Folgen des Kolonialismus?

Julián Rodriguez Ugolini: Natürlich ist die gesamte Wirtschaft immer noch stark vom Kolonialismus geprägt. Die grössten Wirtschaftssektoren in Bolivien wie die Agroindustrie, die Gasindustrie und die Minen sind Sektoren, welche klassischerweise von weissen Familien kontrolliert werden. Doch die zwei aussichtsreichsten Kandidaten aus dem rechten Lager kommen von elitären Familien, welche sehr viele Verbindungen haben zu diesen wichtigen Familien. Während dem die Linken klassischerweise von der indigenen, ärmeren Teil der Bevölkerung unterstützt werden. Das ist der Gegensatz, welcher die bolivianische Politik sehr stark prägt. Und auch bei diesen Wahlen die entscheidende Frage ist. In den letzten 20 Jahren wurden die indigenen Bevölkerungen zum ersten Mal von den Regierungen auch tatsächlich unterstützt. Und die Parteien kommen klassischerweise von Städten, von gut gebildeten, eher weissen Familien. Während dem die Mehrheit der Bevölkerung in Bolivien eigentlich indigen ist und ausgeschlossen ist aus diesen Kreisen.

RaBe-Info: Und was würde denn der Sieg eines konservativen Kandidaten für die Zukunft des Landes bedeuten?

Julián Rodriguez Ugolini: Aktuell etwas schwierig abzuschätzen, weil die sozialen Bewegungen in Bolivien sehr stark sind. Das heisst, wenn sehr starke Einschnitte angekündigt werden, so wie es zum Beispiel Milei in Argentinien getan hat, oder auch zeitweise Bolsonaro in Brasilien. Das sind Sachen, welche in Bolivien auf viel stärkeren Widerstand stossen. Und es gibt viele soziale Bewegungen, die tatsächlich faktisch in der Lage sind, das Land lahmzulegen, sprich alle Routen zu blockieren, den ganzen Verkehr lahmzulegen. Und das ist dann ein Druck, dem eigentlich keine Regierung widerstehen kann. Entsprechend ist es schwierig, abzuschätzen, was dann tatsächlich durchgesetzt werden kann. Es würde aber sicher eine chaotische Zeit werden. Was auch schon ziemlich klar ist, ist, dass alle rechten Kandidierenden davon sprechen, dass sie viele Subventionen entweder ganz streichen möchten oder zumindest zurückfahren möchten. Das war eine der wichtigen Politiken eigentlich in den letzten Jahren, dass Grundnahrungsmittel teilweise proaktiv subventioniert wurden oder beispielsweise auch Benzin wird in Bolivien subventioniert, was die Lebenshaltungskosten drastisch senkt für die einfache Bevölkerung. Das ist aber tatsächlich auch so, dass diese Subventionspolitiken das Staatsbudget stark belasten. Die rechten Kandidaturen plädieren hier für eine Schocktherapie, was sicher schlimme Auswirkungen auf die ärmere Bevölkerung hätte. Andere Sachen, die immer wieder zur Sprache gekommen sind, ist dass Bolivien wieder mehr Darlehen vom Internationalen Währungsfonds entgegennimmt. Diese sind aber immer auch an politische Bedingungen geknüpft, Privatisierungen sind beispielsweise. Und das ist ein bisschen die Richtung, in welche die rechten Kandidaten gehen. Es sind einfach sehr klassisch neoliberale Kandidaten.

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