Mailinglisten, Onlineforen, Kontaktdatenbanken: Um die Jahrtausendwende wurde die digitale Vernetzung in aktivistischen Kreisen wichtiger. Diese Vernetzung lief anfangs über große Plattformen wie Yahoo. Daraus entstand die Idee von immerda. «Wir wollten eine Alternative bieten, die aus der Bewegung kommt und für die Bewegung ist», erklärt Martin vom Kollektiv Immerda, der seinen ganzen Namen lieber nicht im Radio hört. «Wir verstehen uns als Teil der Kämpfe für eine bessere Welt in einem emanzipatorischen linken Sinn.»
Tausende Aktivist:innen bearbeiten ihre digitale Post inzwischen sicher über immerda. Dazu kommt eine eigene Cloud und ein Chattool. Einen Chat auf WhatsApp starten oder Sitzungsprotokolle auf Google Drive laden: Das ist zwar bequem, aber unsicher. Hier bietet Immerda eine Alternative. Kollektive und Einzelpersonen geben zwar eine Bequemlichkeit auf, gewinnen aber die Kontrolle über ihre Daten. «Wir sind uns bewusst, dass wir nicht an die Bequemlichkeit von Milliardenunternehmen herankommen können. Und auch wir wollen nicht zu einer solchen zentralistischen Rolle werden. »
Im Gegensatz zu kommerziellen Plattformen generiert immerda keine Werbeeinnahmen und verkauft keine Daten an Dritte. Deswegen ist das Kollektiv auf Beiträge angewiesen. Für einen Mailaccount empfiehlt das Kollektiv eine Spende von mindestens 25 Franken pro Jahr. Das funktioniere gut: «Wir können die anfallenden Kosten durch diese Beiträge decken.»
Löhne gibt es bei Immerda keine, das Kollektiv arbeitet freiwillig. Auch das ein bewusster Entscheid. «Die Diskussionen und Themen, die dann entstehen, die gehen wir bewusst aus dem Weg, indem wir uns nur auf freiwillige Arbeit beschränken», so Martin. Immerda funktioniert nach einem Einladungsprinzip. Das Kollektiv kennt die Nutzerinnen persönlich oder ein:e Nutzer:in lädt weitere Personen ein. Durch diese Einladungspolitik gab es ein stetiges, aber verdaubares Wachstum. «Wir hatten einen bewussten, langsamen Wachstum.»
Für die Zukunft wünscht sich das Kollektiv somit nicht mehr Expansion, sondern mehr Dezentralisierung. Wenn Plattformen durch faschistoide Milliardäre aufgekauft werden, brauche es andere Formen der Vernetzung, so Martin. «Was wir uns immer wieder wünschen würden, ist, dass es weitere andere Kollektive geben würde, die ähnliche Arbeit machen würden. So könnte man das, was wir machen, auf weitere Schultern verteilen.»
Das Kollektiv immerda entstand vor zwanzig Jahren aus den Kreisen der Anti-WEF-Bewegung in Bern. Die Nähe zur Tour de Lorraine war somit von Anfang an gegeben. Wie die Wiederaneignung digitaler Plattformen in der Praxis konkret aussieht, darüber spricht das Kollektiv am Samstag an der Tour de Lorraine.
Unter dem Titel Reclaim Technology startet am Freitag die diesjährige Tour de Lorraine. Der Workshop vom Kollektiv Immerda findet am Samstag von 11:00 bis 12:30 im Kulturzentrum PROGR statt.