Katika Kühnreich ist Politikwissenschaftlerin und Sinologin, Lars Wehring ist Aktivist vom çapulcu redaktionskollektiv. Am Samstag leiten sie bei der Tour de Lorraine einen Workshop zum postfaktischen Zeitalter: Zu Fakten, beeinflussung in Macht. Wir haben mit ihnen über den Inhalt des Workshops gesprochen.
RaBe Info: Am Montag dieser Woche wurde Donald Trump in den USA zum Präsidenten vereidigt. Lars Wehring, inwiefern ist dieses Ereignis für Sie nun so etwas wie ein Kumulationspunkt des postfaktischen Zeitalters?
Lars Wehring: Ganz neu ist das nicht. Wir haben Trumpismus auch schon vorher gehabt, und es ist auch nicht nur Trump, der dafür steht. Aber das ist jetzt eine machtvolle Wiederaneignung eines doch sehr anderen Umgangs mit Faktischem und Postfaktischem. Ich finde, es ist tatsächlich ein großer Unterschied zu dem, was wir vielleicht schon von Berlusconi kennen. Trump erklärt wahr und falsch für nicht mehr relevant: Das nennen man in der Soziologie Bullshitting. Wir erklären einfach Wahrheit und Unwahrheit für nicht mehr relevante Kategorien. Das macht Trump perfekt. Und das ist eigentlich, wenn man das demokratietheoretisch betrachtet, deutlich schädlicher als das pure Lügen, weil das Lügen erkennt so was wie Wahrheit noch an und will sie einfach nur für mich für sich reklamieren. Aber Bullshitting ist etwas anderes. Es ist das Unterminieren von Wahrheit.
RaBe Info: Im Rahmen dieser Vereidigung von Donald Trump hat Elon Musk eine Geste gemacht, die als Hitlergruß interpretiert wird. Ob das jetzt eben ein Hitlergruß war oder nicht, das sorgt seither für hitzige Debatten. Inwiefern Sehen Sie diese Debatte als einen Kampf um Interpretation und um Wahrheit?
Lars Wehring. Wenn wir uns das anschauen, dann ist natürlich das Setzen einer Provokation. War es das? War es das nicht? Das ist eigentlich das Geschäft und untergräbt die Grundvoraussetzung für Willensbildung. Das mag jetzt bei der Geste allein ein bisschen belanglos erscheinen. Aber wenn wir uns das zum Beispiel jetzt übertragen auf den Klimadiskurs anschauen, da brauchen wir schon eine Faktenbasis, auf der wir irgendwie aufsetzen können. Ansonsten ist politischer Diskurs unmöglich. Und das ist auch im Sinne von Hannah Arendt eigentlich dass das Schädlichste, was einer Demokratie passieren kann.
RaBe Info: Es ist nicht nur schädlich für die Demokratie, sondern es hilft eben auch rechtsradikalen und autoritären Kräften. Wie genau funktioniert dieser Zusammenhang zwischen Desinformation und dem Aufstieg global der rechtsautoritären Kräfte?
Lars Wehring: Wir haben eine Asymmetrie. Wir haben ein Ungleichgewicht zwischen Rechten, die sich eher der Verschwörungslüge und der Falschinformation bedienen, und eher nicht rechten Informationen. Wenn wir diese Asymmetrie im Netz sehen, dann ist es leicht nachvollziehbar, warum sich der Siegeszug der Rechten vollzieht. Es ist definitiv keine Diskursplattform auf Augenhöhe.
RaBe Info: Katika Kühnreich, Sie meinten zu mir im Vorgespräch, dass Emotionen wie Verzweiflung keine individuellen Emotionen sind, sondern durch Prozesse wie die Digitalisierung generiert werden. Was genau meinen Sie damit?
Katika Kühnreich: Kommerzielle Social Media ist designt, uns nach Dopamin abhängig zu machen. Gleichzeitig bauen wir sehr wenig Frustrationstoleranz auf. Während die kommerzielle Digitalisierung uns verspricht, uns als Individuen zu sehen, vereinzelt sie uns von anderen. Tatsächlich ist eine verzweifelte Gesellschaft kaum noch Gesellschaft zu nennen, weil Gesellschaft heißt, dass Menschen vernetzt sind. Wenn wir keine gemeinsame Gesprächskultur mehr haben, dann zerbröckeln wir als Gesellschaft. Wer dieses Instrument am besten spielt, sind im Moment Rechtsradikale. Und dem sollte man immer misstrauen.
RaBe Info: Katika Kühnreich, sie sind ja keine Denkerin der Apokalypse, sondern Sie appellieren stark an das Hoffen darauf, dass es eben auch anders sein könnte. Was für Gegenstrategien gegen dieses Postfaktische, gegen die kommerzielle Digitalisierung Sehen Sie denn?
Katika Kühnreich: Analoge Netze sind für mich tatsächlich eine große Gegenstrategie, wenn sie auch einfach erscheinen mag. Dass wir tatsächlich gegen eine Vereinzelung ein kollektives Füreinander sorgen. Dass wir einander unterstützen und uns nicht von irgendwelchen emotionalen Diskussionen wie Ratten auf Speed in die nächste emotionale Waschmaschine knallen lassen. Sondern einfach mal zurücktreten, durchatmen, füreinander sorgen und Kraft sammeln. Denn Widerstand ist angesagt.